Ellen Bocquel, bocquel-news, vom 8. September 2014

Was die deutsche Fußball-Nationalmannschaft und die Spezialisten gemeinsam haben, die ein Versicherungsunternehmen fit für Solvency II machen sollen, erfuhr man während der K-Tagung 2014 der Scor und der MSK Gesellschaft für aktuarielle Beratung in Köln.

Eine „extreme Ähnlichkeit" zwischen den Anforderungen ans Team der deutschen Fußball-Nationalmannschaft und den Solvency-II-Spezialisten in den Versicherungsunternehmen hierzulande stellt Dr. Dietmar Kohlruss fest. Dem Geschäftsführer der aktuariellen Beratungsgesellschaft Meyerthole Siems Kohlruss gelang es, während der „K-Tagung 2014" vergangene Woche in Köln mit launigen Worten, selbst Nicht-Mathematikern echte Einblicke in das komplizierte Konstrukt „Solvency II" und die versicherungsmathematische Funktion zu verschaffen. Die alljährliche K-Tagung ist eine gemeinsame Veranstaltung von der Scor Global P&C Deutschland, Niederlassung des Rückversicherers Scor und MSK Meyerthole Siems Kohlruss Gesellschaft fuer aktuarielle Beratung mbH.

In der 29. Etage des Triangel-Turms hatten die Veranstalter für die zahlreichen Teilnehmer aus Erstversicherungs-Unternehmen eine passable Tagungsatmosphäre vor dem imposanten Panoramablick auf die Domstadt und den Rhein geschaffen. Den Teams um den Scor-Hauptbevollmächtigten Robert Oberholzer sowie um MSK-Geschäftsführer Onnen Siems war es gelungen, zum Tagungsthema „K-Versicherung am Scheidewege" Referenten zu verpflichten, die nicht nur alles was sichtbar und versicherungstechnisch rund um den fahrbaren Untersatz besprachen, sondern auch den speziellen Bezug zu branchenspezifischen Knackpunkten herzustellen, die sich auf die Rechtsprechung und gesetzliche Weiterentwicklung bezogen.

Onnen Siems sprach die technischen Veränderungen rund um das Auto an, die grundlegende Veränderungen für die Versicherer bedeuten. „Der K-Markt verbreitert sich über alle Grenzen hinaus", sagte er und sprach in diesem Zusammenhang von den „Vereinigten Staaten von Google". Die bereits in Großbritannien praktizierte Regelung „Pay-as-you-drive" fehlte nicht in seinen Aufzählungen, ebenso wie auch Ansichten zur Telematik und der Automatisierung, die ein „autonomes Fahren" ermöglicht.

Nicht alle Versicherungsthemen müssen trocken vorgetragen werden, selbst dann nicht, wenn es im Solvency II geht. Das machte MSK-Geschäftsführer Kohlruss sehr gekonnt in seinem Vortrag zum Solvency-II-Thema „Versicherungsmathematische Funktion" deutlich. Der Bezug zur Fußball-Weltmeisterschaft machte es möglich. Beim Vergleich mit der Fußball-Nationalmannschaft, die nach den besonders drastischen Rückschlägen um die Weltmeister- und Europa-Meisterschaft zuletzt in den Jahren 2006, 2008, 2010 und 2012 in diesen Jahr den Einzug an die Spitze des Fußball-Olymp errungen hat, stellte Kohlruss Parallelen zu den Spezialisten her, die Versicherungsunternehmen bis zum 1. Januar 2016 in Sachen Solvency II „proper und fit" machen sollen.

Für die Assekuranz - und hier besonders für die mittelständischen Unternehmen - ist Solvency II eine große Hürde. Obwohl Vieles an den Voraussetzungen zur Umsetzung der künftigen europaweit einzuführenden Eigenkapitalausstattungs-Vorschrift nach vage ist, sollen die Unternehmen schon bald Zahlen liefern. Einer der Knackpunkte ist den Angaben zufolge die „vorausschauende Prüfung unternehmenseigener Risiken (FLAOR)". Solvency II verlange unter anderem von Entscheidungsträgern der Versicherungsgesellschaften, dass sie erläutern können, inwiefern das Risikomanagement ihres Unternehmens adäquat aufgestellt ist. Kompetenz und Spezialistentum in Schlüsselfunktionen sind gefragt.

Jogi Löw, Bundestrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, gelang es - so machte Dietmar Kohlruss deutlich, in der Verteidigungslinie vier Schlüsselspieler im Team um das runde Leder auszumachen. In der Parallele zu den Einheiten im Versicherungsunternehmen sind laut Kohlruss die Sachbearbeiter in den operativen Einheiten und derjenige mit der Compliance-Funktion (CF), aber auch der Teamplayer mit Risikomanagement-Funktion (RMF) und derjenige, der die versicherungsmathematische Funktion (VMF) verantwortet, als die vier Schlüsselspieler anzusehen.

An der versicherungsmathematischen Funktion hänge nun alles. Die Aufsicht veröffentlicht hierzu sukzessive Verlautbarungen - eine zur VMF: Da heißt es, dass Solvency II umfassende Regelungen zu quantitativen und qualitativen Aspekten des Risikomanagements beinhaltet. Wie Meyerthole Siems Kohlruss dazu veröffentlicht, enthält Artikel 48 der Rahmenrichtlinie einen Aufgabenkatalog, der einen Mindeststandard darstellt. Demnach soll die so genannte "aktuarielle Funktion" unter anderem zu einer wirksamen Umsetzung des Risikomanagements beitragen, insbesondere im Hinblick auf die Schaffung von Risikomodellen.

Dr. Dietmar Kohlruss brachte die Anforderungen an die Geschäftsorganisation und das Risikomanagement auf den Punkt:

  • Allgemeine Governance-Anforderungen,
  • Fachliche Qualifikation,
  • Risikomanagement,
  • Grundsatz der unternehmerischen Vorsicht,
  • EM-Anforderungen & Governance-System,
  • Interne Kontrollen und interne Revision.

Der versicherungsmathematischen Funktion (VMF) sollte man ein besonderes Augenmerk schenken. Es gehe hier vor allem um die Solvenz-Bilanz. Die VMF müsse nicht zwingend von einem Diplom-Mathematiker besetzt sein. Gefragt sei vielmehr jemand, der Prämien und Reserven berechnen könne. Da vor allem in den mittelgroßen Unternehmen dafür nicht eigens ein weiterer Fachmann eingestellt werden könne, sollten Versicherer auch die Möglichkeit des Outsourcens der VMF in Betracht ziehen.

Was gehört zur versicherungsmathematischen Funktion (VMF)?

Kohlruss fasste zusammen, was zur versicherungsmathematischen Funktion gehört. Er erklärte in diesem Zusammenhang, dass zur sogenannten vorausschauenden Prüfung unternehmenseigener Risiken (FLAOR) gehöre, den Gesamt-Solvabilitätsbedarfs sowie allgemeine Grundsätze zu beurteilen, ebenso die kontinuierliche Einhaltung der gesetzlichen Kapitalanforderungen und der Anforderungen an volatile Rückstellungen. Schließlich müsse die Abweichung des Risikoprofils von Annahmen in der Standardformel kontrolliert und eingeschätzt.

„Die versicherungsmathematische Funktion wird im VAG verankert sein", sagte Dietmar Kohlruss. Grundlage sei der Artikel 48 der SII-RRL (Solvency-II-Rahmenrichtlinie), was im Paragraphen (§) 31 des Referentenentwurfs (VAG-E) geregelt sei. Wer für den Job „VMF" in Frage komme? Der Verantwortliche der VMF „muss über für Art, Umfang und Komplexität der Risiken des Versicherungsunternehmens angemessene Kenntnisse der Versicherungs- und der Finanzmathematik verfügen und einschlägige Erfahrungen mit den maßgeblichen fachlichen und sonstigen Standards darlegen können."

Für VMF - Rückstellungen in der Kfz-Versicherung eine wichtige Rolle

Speziell für die Teilnehmer der K-Tagung 2014 schob der MSK-Geschäftsführer Kohlruss ein, dass die versicherungstechnischen Rückstellungen in der Kfz-Versicherung eine wichtige Rolle spielen. Daher stehe sie auch im Fokus der VMF. In Bezug auf die Rückversicherung sowie ihren Marktwert - sprich die Kapitalanlagen und Forderungen - müssen Schadenrückstellungen und sonstige Verpflichtungen benannt werden. Aufgabe des VMF-Managers ist es laut Kohlruss,

  • die Berechnung zu koordinieren,
  • die Angemessenheit der verwendeten Methoden und der zugrunde liegenden Modelle sowie der getroffenen Annahmen zu gewährleisten,
  • die Hinlänglichkeit und die Qualität der zugrunde gelegten Daten zu bewerten,
  • die besten Schätzwerte mit den Erfahrungswerten zu vergleichen,
  • den Vorstand über die Verlässlichkeit und Angemessenheit der Berechnung zu unterrichten und
  • die Einhaltung der allgemeinen Grundsätze für die Berechnung zu überwachen.

Der Bereich VMF gibt demnach eine Stellungnahme zur Zeichnungs-, Annahme- und Tarifpolitik ab. Sind die künftigen Prämien unter Berücksichtigung der eingegangenen Risiken ausreichend zur Deckung künftiger Versicherungsleistungen und Kosten? Auch Einschätzung der Hauptrisikofaktoren, die die künftige Rentabilität beeinflussen, müssen erarbeitet werden. Dazu gehören unter anderem Inflation, Rechtssprechung, Marktveränderung und die AVB.

Angemessenheit der Vereinbarungen mit der Rückversicherung

Der VMF-Manager bewertet außerdem die Angemessenheit der Vereinbarungen mit der Rückversicherung (RV), was beinhaltet, wie sich die Rückversicherung auf die Höhe der versicherungstechnischen Rückstellungen auswirkt. Hierzu zählt auch die Einschätzung der Volatilität der Eigenmittel. Geklärt werden muss, ob die Rückversicherungs-Struktur zum Risikoprofil passt und die RV-Ratings ausreichend sind? Eine aufwendige Arbeit beinhaltet auch die Untersuchung, wie die RV-Deckung unter Stress-Szenarien wirkt? Eine weitere alles entscheidende Frage ist laut Kohlruss, ob eine hinreichende Diversifikation erzielt wird.

Der VMF-Bereich erstellt dazu einen internen Bericht, dessen Ergebnisse an die Aufsicht zu übermitteln sind. Selbstredend geschieht das im Auftrag von Aufsichtsrat und Vorstand des entsprechenden Versicherungsunternehmens. Folglich muss der VMF-Manager jeweils zeitnah über den Ablauf seiner Tätigkeit an die Gremien berichten.

Eine Mustervorlage gibt es noch nicht

Eine offizielle Formatvorlage für den VMF-Bericht an die Aufsichtsbehörde liegt noch nicht vor. Wie Dietmar Kohlruss berichtete, arbeitet die DAV Deutsche Aktuarvereinigung e.V. derzeit an einer entsprechenden Mustervorlage, die inhaltlich voraussichtlich wie folgt gegliedert sein wird:

A. Zentrale Feststellungen
B. Prüfungsvorgehen
C. Technische Rückstellungen
D. Rückversicherung
E. Zeichnungs- und Annahmepolitik
F. Nachverfolgung letzter Bericht
G. Anhang.

Mit dem Fazit: „Die VMF wird in K zu einer echten Schlüsselfunktion", schloss Kohlruss seinen Exkurs in die für Viele trockene Materie von Solvency II, ließ es sich aber nicht nehmen, zu seinem Anfangsvergleich zwischen Fußball und Solvency II zurückzukehren. „Das nächste Ziel steht für das DFB-Team schon an: die EM in zwei Jahren", sagte er. Dann sollte die VMF bei allen Versicherungsunternehmen eingerichtet sein.

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