Ellen Bocquel, bocquel-news, vom 30. Januar 2017
Am Autoversicherungsmarkt der Telematik-Tarife tut sich was. Fast alle Großen der Branche bieten fast Kfz-Telematik-Policen an, bei denen die Preisfindung via Datenerfassung über das Fahrverhalten erfolgt. Doch bei 100.000 Autos müssen dazu 1,5 Billionen Messwerte pro Jahr analysiert werden.
„Die Telematik ist in Deutschland angekommen. Wir sind hier längst über das Übergangsstadium hinaus“, sagte Onnen Siems, einer der Geschäftsführer und Gesellschafter der aktuariellen Beratung MSK Meyerthole Siems Kohlruss, im Gespräch mit Journalisten. Der Diplom-Mathematiker und sein MSK-Geschäftsführer Dietmar Kohlruss diskutierten aktuelle Branchenthemen. Dabei ging Onnen Siems auf die Brisanz des Themas „Telematik - Ende der Solidargemeinschaft?“ - ein. Derzeit halten sich die Anhänger Kritiker hierfür in der Versicherungswirtschaft fast noch die Waage. Doch seit die ganz Großen unter den Autoversicherern hierzulande Telematik-Tarife anbieten, kippt das Verhältnis. Auch immer mehr Autofahrer zeigen Interesse.
Das war im Jahr 2014 noch anders, als die S-Direkt SparkassenVersicherung mit einem Telematik-Tarif als Pilotprojekt in den Markt ging. Und auch die Signal-Iduna-Tochter Sijox bietet seit 2014 eine „Pay as you drive“-Versicherung an, die zu den Telematik-Produkten zählt. Sijox richtet sich seitdem speziell an jüngere Autofahrer, die offensichtlich viel IT-affiner sind, als die Älteren.
Der Telematik-Markt wächst zusehends
Dass die Telematik hierzulande angekommen sei, begründet Siems mit der inzwischen wachsenden Zahl der Anbieter. Seit dem Markteinstieg der AdmiralDirekt im November 2015 haben zahlreiche Autoversicherer entsprechende Telematik-Produkte auf den Markt gebracht – unter anderem die Marktführer Huk-Coburg und die Allianz sowie die VHV, die Generali, der HDI in Kooperation mit der ThinxNet GmbH und die Mercedes Benz Autoversicherung.
Die Allianz beansprucht für sich mit seit Mai 2016 rund 23.000 verkauften Telematik-Policen die Marktführerschaft, während die Huk-Coburg erst im Oktober 2016 mit einer Telematik-Testphase im Rhein-Main-Gebiet begann, inzwischen aber bundesweit Telematik-Autoversicherungen anbietet.
Trotz wachsender Marktpräsens wird diskutiert, ob die Telematik-Tarife die Grundidee der Versicherung gefährde, betonte Onnen Siems. Die Hürden der Umsetzung hat die Branche einigermaßen bewältigt. Nun setzt ein Preiskampf der neuen Art um die Telematik ein, zumal die Mehrzahl der Anbieter hier von einer „Revolution“ in der Tarifierung spricht.
Telematik-Daten zur Preisfindung der Tarife
Selbstredend werden Telematik-Daten zur Preisfindung eingesetzt. Denn die Telematik liefert Daten über den Fahrstil des Versicherten an den Kfz-Versicherer. Wer umsichtig fährt, bekommt Rabatte vom Versicherer. Als besondere Herausforderung sieht hier der Mathematiker Siems die Herausforderung in Sachen Big Data. „Bei 100.000 Autos müssen circa 1,5 Billionen Messwerte pro Jahr analysiert werden“, rechnet Siems vor.
Und die Nachfrage nach Telematik-Tarifen werde steigen, sagt Siems, zumal den Autofahrer Ersparnisse bis zu 30 Prozent gegenüber seiner derzeitigen „analogen“ Kfz-Versicherung in Aussicht gestellt wird.
Der Wettlauf um den Kunden findet aber auch an einer ganz anderen Stelle statt. Mit der Einführung des eCalls. eCall bedeutet so viel wie elektronischer Autonotruf. Die Vorrichtung dafür muss ab diesem Jahr obligatorisch in jedem Neuwagen installiert sein. Darauf entbrennt ein Wettstreit zwischen Herstellern und Versicherern um die Werkstattsteuerung nach einem Autounfall. Bei einem Werkstattnetz, wie es die Huk-Coburg erfolgreich unterhält, führt das zu deutliche günstigeren Schadenleistungen. „Im Zuge der Einführung des automatischen Notrufsystems eCall könnte die Telematik den Versicherern den entscheidenden Vorteil sichern“, nimmt Siems an.
Aktuell sind die Telematik-Angebote für den Versicherer oft noch nicht rentabel, sagt der MSK-Geschäftsführer. Für gutes Fahrverhalten würden Rabatte vergeben; schlechtes Fahrverhalten werde aber nicht mit teureren Tarifen bestraft.
„Revolution in der Tarifierung“?
Bedeutet dies „Revolution in der Tarifierung“ und sogar das Ende der Solidargemeinschaft der Versicherten? Onnen Siems ist sich sicher, dass der Grundgedanke des Ausgleichs im Kollektiv erhalten bleiben müsse, denn nur so könnten die Versicherer Großschäden tragen. Die Wahrscheinlichkeit für Schaden lasse sich durch Telematik-Daten individuell stabiler vorhersehen, und dadurch lassen sich gute Risiken genauer von schlechten Risiken differenzieren.
Die Zufallskomponente für Unfälle und Schadenhöhe im Straßenverkehr kann durch Telematik nichteliminiert werden, aber der Informationsvorsprung des Kunden wird laut Onnen Siems geringer. Sein Fazit: Das Risiko kann präziser und damit gerechter bestimmt werden. Das beinhaltet durchaus Potenzial für eine „Revolution“.
Nach Auffassung der Mathematiker der Gesellschaft für aktuarielle Beratung mbH Meyerthole Siems Kohlruss erfordert die Telematik noch viel Forschungsarbeit, beispielsweise im Hinblick auf die Größe der Datenmengen und die damit verbundene Modernisierung der mathematischen Methoden. Um diesen Forschungsbedarf nachzukommen, wurde der Förderverein „VersicherungsMathematik im Bereich der Kraftfahrtversicherung e.V.“ (Kurzformel VM4K) gegründet.
Aktuell fördert der Verein VM4K eine mathematische Masterarbeit zum Thema „Aktuarielle Profilanalyse von großen Telematik-Datenmengen (Big Data“. Dazu werden laut Onnen Siems im Hause MSK die Telematik-Daten eine Mitgliedsunternehmens ausgewertet. Die Ergebnisse sollen im Sommer den Mitgliedern exklusiv vorgestellt werden.