Dr. Thomas List, Börsen-Zeitung, vom 21. Januar 2021

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Berater MSK hält Pandemie für begrenzt versicherbar – Kfz-Telematiktarife werden Standard

Telematiktarife werden sich in Deutschland auf breiter Front durchsetzen. Das Pandemierisiko lässt sich im Rahmen der Betriebsschließungsversicherung versichern, allerdings nur eingeschränkt. Diese Standpunkte vertrat die aktuarielle (versicherungsmathematische) Bera tungsfirma Meyerthole Siems Kohlruss (MSK) in einem Online Pressegespräch.

Zwei dominieren den Markt

„Wir sind der Überzeugung, dass sich Telematik in den nächsten Jahren zum Kfz-Standardprodukt entwickeln wird“, sagte MSK-Geschäftsführer Onnen Siems. MSK schätzt den Bestand an Telematiktarifen in Deutschland auf etwa 750 000 Verträge und damit deutlich mehr als im Jahr zuvor. Davon entfielen mehr als 90 % auf die beiden Marktführer HUK Coburg und Allianz. Den aktuellen Bestand nach der Wechselsaison 2020/2021 gab HUK-Coburg-Chef Klaus-Jürgen Heitmann mit 400 000 Verträgen an. „Wir sind sehr zuversichtlich, dass spätestens im nächsten Jahr die Millionengrenze bei den Telematikverträgen überschritten wird. Das Wachstum wird sich weiter beschleunigen, so dass es 2025 mehr als zehn Millionen Telematikverträge in Deutschland geben wird.“

Immer mehr Versicherer springen auf den Zug auf wie DEVK, LVM, Versicherungskammer Bayern und Ergo. „Aktuell zählen wir rund ein Dutzend Autoversicherer mit solchen Tarifen, wobei wir Konzerne als eine Gesellschaft zählen.“ Bis 2025 könnten bis zu 40 Versicherer Telematiktarife anbieten, glaubt Siems. MSK bietet selbst eine Telematik-App an, die mit elf Versicherern entwickelt und bis Ende 2020 erfolgreich getestet wurde. Neodigital wird die MSK-Telematik-App den Versicherern über eine neu zu gründende Tochtergesellschaft anbieten. Die Autoversicherer könnten so mit minimalen Investitionen die Telematiktarife outsourcen. „Neodigital erhält keinen Zugriff auf die Telematikdaten“, betonte Siems. Mit Kosten von 1 Euro pro Monat für jeden Vertrag will MSK zusammen mit Neodigital die Kostenführerschaft am deutschen Markt übernehmen. Der Datenpool soll mit Hilfe der Versicherer mindestens so groß werden wie derjenige der HUK Coburg.

Erfasst und bewertet wird beim MSK/Neodigital-Telematikangebot das Fahrverhalten, also beispielsweise das Beschleunigen, Bremsen, Tag und Nachfahrten, Beinahe-Unfälle. „Telematik belohnt vorsichtiges Fahren und wird mittelfristig riskantes Fahren bestrafen.“ Dieser Ansatz sei dem bestehenden Bonus/Malus-System überlegen, da dieses nur schadenhaltige bzw. schadenfreie Jahre messe. „Mit unserem System können auch junge Fahrer, die vorsichtig fahren, risikogerecht bepreist werden.“ Das eigene System soll zur diesjährigen Wechselsaison 2021/22 ausgerollt und vom Endkunden genutzt werden können. „Neodigital wird das als Erstes einführen, um so nachweisen zu können, dass das System allen Anforderungen genügt.“ Nach Ansicht von MSK-Geschäftsführer Andreas Meyerthole ist das Pandemierisiko in der Betriebsschließungsversicherung eingeschränkt versicherbar. „Eine kleine Lösung ist besser als keine Lösung.“ Um ein Gefühl für die Größenordnung von Schaden und Prämien zu bekommen, nannte er als Beispiel das Hotel- und Gaststättengewerbe. Der Jahresumsatz beträgt etwa 90 Mrd. Euro. Bei einer Betriebsschließung von einem Monat und der vollständigen Abdeckung des Umsatzausfalls liegt der Schaden bei 7,5 Mrd. Euro. Bei einer Wiederkehrperiode von 100 Jahren läge die Risikoprämie bei 75 Mill. Euro – zwar nur 0,25 ‰ des Jahresumsatzes, aber eben auch nur ein Hundertstel eines Jahresschadens.

Einsparungen helfen

Das Pandemierisiko in Form von Betriebsschließungen wird aber durch Einsparungen in anderen Sparten, insbesondere der Kfz-Versicherung, gemindert. So wird die Verbesserung der Combined Ratio für 2020 auf zehn Prozentpunkte, insgesamt also etwa 90 %, geschätzt. „Bei Prämieneinnahmen von grob 25 Mrd. Euro müssten die Kfz-Versicherer 2,5 Mrd. Euro weniger an Schäden zahlen. Damit könnte man einen großen Teil der Betriebsschließungsschäden ausgleichen.“ Allerdings profitieren die einzelnen Versicherer sehr unterschiedlich von diesem Effekt. Die einen zeichnen gar kein Betriebsschließungsgeschäft, während die anderen dieses Risiko zwar zeichnen, aber kein Kfz-Geschäft zur Kompensation haben.

Ein Fünftel ersetzen

Naheliegend wäre für Erstversicherer eine Begrenzung der Gesamthaftung auf z. B. 20 % des maximalen Kumuls (ein einziges Schadenereignis führt dazu, dass viele Versicherte einen Schaden erleiden). Im Extremfall würde der Versicherte dann nur 20 % seines Schadens ersetzt bekommen. „Entscheidend ist hier die transparente Kommunikation zum Versicherten“, betont Meyerthole. Der nicht gedeckte Betrag könnte durch Pools, den Staat oder Fonds ergänzt werden. Er sprach sich für Bilanzierungshilfen wie erweiterte Möglichkeiten zur (steuerfreien) Bildung von Schwankungsrückstellungen und die Einführung eines Verlustrücktrags aus. Ein besonderes Problem sind unter Solvency II die hohen Kapitalkosten für den angenommenen 100-Jahres-Schaden von 7,5 Mrd. Euro.