Niedrige Verbreitung von Elementarschadenpolicen / Ministerpräsident Weil dringt auf Pflichtversicherung

Philipp Krohn, FAZ, vom 4. Januar 2024

Die VGH Versicherung aus Hannover ist einer der führenden Versicherer in Niedersachsen. Auf der eigenen Internetseite bietet das Unternehmen aus dem Sparkassenverbund einen Klimacheck. Anhand von drei Fragen können Wohngebäudeversicherte in wenigen Sekunden prüfen, ob sie ausreichend gegen Hochwasser und Starkregen abgesichert sind. Ergebnis des Checks ist entweder ein verbaler Schulterklopfer, eine Aufforderung zur genaueren Prüfung oder der direkte Draht zum Versicherungsvermittler.

In Niedersachsen liegt die Durchdringung mit Elementarschadenversicherungen deutlich niedriger als im Bundesdurchschnitt von inzwischen 54 Prozent. In den vergangenen Jahren hat sich durch die vielen Hochwasser und Überschwemmungen die Diskussion intensiviert. Der Anteil der Versicherungskunden, die ihr Haus neben den Wohngebäudeschäden wie Feuer, Blitzeinschlag, Leitungswasser und Sturm auch gegen Elementarschäden (Erdbeben, Erdrutsch, Hochwasser, Schneedruck) abgesichert haben, ist stetig gestiegen. In Niedersachsen liegt er nach Zahlen des Versichererverbands GDV nur bei 32 Prozent.

Wie hoch die Schäden aus den Überschwemmungen ausfallen werden, lässt sich noch nicht modellieren. Bei den Versicherern gehen über deren Agenturen allmählich Schadenmeldungen ein. „Momentan sind die Schäden sehr schwierig abzuschätzen, weil die Deiche aktuell noch halten“, sagt Onnen Siems, Mitgeschäftsführer der aktuariellen Beratung Meyerthole Siems Kohlruss in Köln. „Entscheidend ist, wie sich die Niederschläge weiter entwickeln“, sagt er.

Die Versicherungsdichte ist in Norddeutschland generell geringer als im Osten und Süden. Dafür gibt es verschiedene Erklärungen: Es könnte mit dem unterdurchschnittlichen Schadenaufkommen der vergangenen Jahren zu tun haben. In Niedersachsen lag der durchschnittliche Schaden aus Naturgefahren mit 4984 Euro am zweitniedrigsten unter allen Bundesländern. Nur in Bremen war er noch geringer. Dass mit Sturmfluten die vermeintlich größte Gefahr in der Region nicht über Elementarpolicen abgesichert ist, könnte zudem Haushalte abgehalten haben.

„Viele Immobilienbesitzende sind sich der Naturgefahren, die ihre Häuser bedrohen, nicht bewusst“, sagt GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. Das lasse sie auf einen existenziellen Schutz verzichten. Ungeachtet dieser beschränkten Eigenverantwortung wird in der Politik wie so oft eine Diskussion losgetreten, wie Betroffene finanziell entschädigt werden könnten. Haushaltspolitiker der SPD im Bund regen an, die Schuldenbremse auszusetzen.

Ihr Parteifreund Stefan Weil dagegen, Ministerpräsident von Niedersachsen, verwies am Mittwoch auf einen Beschluss der Bundesländer im Bundesrat vor zehn Monaten. In diesem Jahr müssten „möglichst schnell klare Entscheidungen her“, sagte er vor Journalisten in Hannover. Die private Vorsorge müsse nicht nur wegen der aktuellen Ereignisse verstärkt werden. Eine breite Einführung einer Pflichtversicherung, wie vom Bundesrat beabsichtigt, werde bewirken, dass Versicherungsschutz bezahlbarer werde.

Stabile Deiche können einen Milliardenschaden verhindern Weil forderte die Koalition im Bund dazu auf, „kurzfristig einen konkreten bundesgesetzlichen Regelungsvorschlag“ vorzulegen. Im vergangenen Jahr summierten sich die Schäden aus Naturgefahren in Deutschland auf 4,9 Milliarden Euro. Das war weit weniger als zwei Jahre zuvor, als im Ahrtal und an der Erft Tausende Versicherte monatelang mit den Schäden zu kämpfen hatten. „Wenn die Deiche halten, wird sich das Schadenausmaß diesmal in Grenzen halten“, sagt Aktuar Siems. Die Bilder der über die Ufer getretenen Flüsse erinnern zwar an Hochwässer an Donau, Oder und Elbe. Aber mit weiterhin stabilen Deichen und zurückgehenden Niederschlägen werde sich ein vergleichbarer Milliardenschaden vermeiden lassen.

Aus Sicht von Versicherungsfachleuten ist sehr wahrscheinlich, dass Schäden in den kommenden Jahren zunehmen werden. „Überschwemmungsereignisse werden häufiger eintreten, das ist wissenschaftlicher Konsens“, sagt Siems. Und das wird auch Konsequenzen für die Versicherten haben. Denn mehr Schäden, die beglichen werden müssen, dürften auch mit höheren Preisen einhergehen. „Nach unseren Schätzungen könnte es in Deutschland allein infolge der Klimaschäden innerhalb der nächsten zehn Jahre zu einer Verdopplung der Prämien für Wohngebäudeversicherungen kommen“, stellt GDV-Hauptgeschäftsführer Asmussen in Aussicht. Der Preisanstieg wird sich also nach seiner Prognose nicht auf Elementarpolicen beschränken.

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