Oliver Bocquel, Bocquel-News, vom 29. Januar 2020

Meyerthole Siems Kohlruss (MSK) repräsentiert eines der größten „Non-Life“-Aktuariate. Heute in Berlin hatten sich die Aktuare ein anspruchsvolles Programm vorgenommen, das sie der Presse präsentierten. Im Fokus stand unter anderem der deutsche Reiseversicherungsmarkt –Auslöser die Thomas-Cook-Pleite.

Dr. Andreas Meyerthole, einer der Chef bei MSK Meyerthole Siems Kohlruss (www.aktuare.de) nahm die Thomas-Cook-Pleite vom vergangenen Jahr unter die Lupe. Tausende von Reisenden hatte auch hierzulande große Teile ihrer Reisekasse einbüßen müssen. Meyerthole provozierte im Journalistengespräch mit der Frage: „Hat die Bundesregierung die EU-Vorgabe zur Kundengeldabsicherung im Reiserecht angemessen umgesetzt?“ Seine aktuarielle Betrachtung begann er mit Fakten und Kennzahlen zu Thomas Cook.

Die Zahlen zum Fall Thomas Cook:
• Umsatz im Jahr 2018: 3,8 Milliarden Euro;
• Gesamtschaden: 347,0 Millionen Euro;
• Rückholkosten: 59,6 Millionen Euro;
• Vorauszahlungen: 287,4 Millionen Euro.

Den Schadengrad (Gesamtschaden) der Thomas Cook-Insolvenz bezifferte Meyerthole mit 9,13 Prozent vom Umsatz.

Was bedeutete das mit Blick auf den gesamten deutschen Reiseversicherungsmarkt 2018? Damals erwirtschaften die 2.600 Reiseveranstalter hierzulande rund 36 Milliarden Euro. Meyerthole zitierte dazu das deutsche Modell zur Absicherung von Kundengeldern bei Insolvenzen in der Reisebranche:

§ 651r BGB Absatz 3: …der Kundengeldabsicherer […] kann seine Haftung für die von ihm in einem Geschäftsjahr insgesamt nach diesem Gesetz zu erstattenden Beträge auf 110 Millionen Euro begrenzen. Übersteigen die […] zu erstattenden Beträge den […] Höchstbetrag, so verringern sich die einzelnen Erstattungsansprüche in dem Verhältnis, in dem ihr Gesamtbetrag zum Höchstbetrag steht.

Meyerthole sieht zwei Schwachstellen der deutschen Regelung in Bezug auf Deckungssumme und Kumule. Das wirkte sich auf die konkreten Folgen der deutschen Regelung im Thomas Cook-Fall aus.

Die Kosten der Rückholung werden vorrangig bedient; 50,4 Millionen Euro der Deckungssumme verbleiben für die Erstattung von Vorauszahlungen. Die Rückerstattungs-Quote durch die Police ist: 50,4 / 287,4 = 17,5 Prozent

Laut Meyerthole hat die Bundesregierung die Erstattung der übrigen 237 Millionen Euro zugesagt, ansonsten hätte nach Dieselgate und den Darlehenswiderrufen ein weiterer Rechtsschutz-Kumul in Höhe von etwa 100 Millionen Euro gedroht. Meyerthole: „Wäre es 2019 zu weiteren durch den Versicherer Zurich abgesicherten Insolvenzen gekommen, hätten deren Kunden keinerlei Rückerstattung mehr erhalten.“

Schließlich – sagte der Aktuar und Mathematiker, müsse auch die EU-Reiserichtlinie bei der Überführung ins nationale Recht zwingend eingehalten werden. Sie besagt: EU-Reiserichtlinie Absatz 39: Die Mitgliedstaaten sollten gewährleisten, dass Reisende, die eine Pauschalreise erwerben, vor der Insolvenz des Reiseveranstalters in vollem Umfang geschützt sind.

Absatz 40: … Ein wirksamer Insolvenzschutz sollte jedoch nicht bedeuten, dass sehr unwahrscheinliche Risiken berücksichtigt werden müssen, wie beispielsweise die gleichzeitige Insolvenz mehrerer der größten Reiseveranstalter, wenn dies unverhältnismäßige Auswirkungen auf die Kosten des Schutzes haben und somit seine Wirksamkeit beeinträchtigen würde. In solchen Fällen kann die garantierte Erstattung begrenzt sein.

In Österreich wäre der volle Schaden durch den Versicherer reguliert worden.

Wie Andreas Meyerthole resümierte, ist die österreichische Umsetzung der EU-Reiserichtlinie deutlich wirksamer: Die Reiseveranstalter schließen Policen mit Deckungssummen ab, die individuell auf ihre Größe abgestimmt sind - mindestens 18 Prozent des geplanten Umsatz.

Am Beispiel Thomas Cook hätte die Deckungssumme in Österreich 684 Millionen Euro betragen Bei der österreichischen Regelung wäre der Schaden in voller Höhe durch den Versicherer reguliert worden.

Laut Andreas Meyerthole müsste die aktuarielle Fragestellung lauten: Ist das Risiko der Insolvenz von Reiseveranstaltern versicherbar? Das mittlere jährliche Schadenaufkommen durch Insolvenzen von Reiseveranstaltern bei einem
• · Umsatz der deutschen Reiseveranstalter: 36,0 Milliarden Euro.
• · Erwartung nach Analyse der Entwicklung von 2008 bis 2017: 15 von etwa 2.600 Reiseveranstaltern in Deutschland werden jährlich insolvent Insolvenzquote 0,58 Prozent.
• · Im Mittel ist ein Umsatz von etwa 209 Millionen Euro von einer Insolvenz betroffen.
• · Die Schadenhöhe beträgt wie bei Thomas Cook 9,13 Prozent des Umsatzes 19,1 Millionen Euro.

VVaG als Selbsthilfeeinrichtung der Reisebranche?

Ist das Risiko nun versicherbar? Ins Gewicht fällt die hohe Volatilität: Insolvenz von TUI ergibt 530 Millionen Euro Schaden. Andreas Meyerthole sieht hier klassische Lösungen der Assekuranz, die sich durch die Bildung von Konsortien sowie der Einschaltung der Rückversicherung oder sogar als ein neuer VVaG als Selbsthilfeeinrichtung der Reisebranche lösen könnten.