Antje Kullrich, Börsen-Zeitung, vom 15. April 2020

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Pandemie trifft einzelne Sparten empfindlich – Aktuare: Autoversicherer sparen bis Ende April 1 Mrd. Euro durch weniger Unfälle

Die Belastungen der deutschen Schadenversicherer durch die Coronakrise dürften ungleich verteilt sein. Einige Sparten könnten erheblich belastet werden, so dass Unternehmen mit dort hohen Marktanteilen stärker leiden als andere. Das geht aus einer Analyse der aktuariellen Unternehmensberatung Meyerthole Siems Kohlruss (MSK) hervor. Die Versicherungsmathematiker haben auch erste Schadenschätzungen für die Branche vorgelegt.

Danach sind vor allem die Rechtsschutzversicherer betroffen. Die Branche stehe nach den Themen Darlehenswiderruf und Dieselskandal vor dem dritten Kumulereignis binnen kurzer Zeit, und es werde wohl das schwerste sein, schätzt MSK. Nach der Berechnung könnten bis zu 500 Mill. Euro Schadenaufwand auf die Rechtsschutzversicherer zukommen. Das wäre gut ein Sechstel der Leistungen eines Jahres. 2019 hatten die Rechtsschutzversicherer 2,9 Mrd. Euro an ihre Kunden gezahlt.

Belastet werden auch die Versicherer, die Betriebsschließungsversicherungen anbieten. In den vergangenen Tagen haben sich einige bayerische Versicherer mit dem dortigen Hotel- und Gaststättenverband einen Kompromiss über Teilzahlungen von 10 bis 15 % der vereinbarten Tagessätze geeinigt, auch wenn die Deckung laut Vertrag strittig ist. Allein der Kompromiss in Bayern dürfte die Branche mindestens 300 Mill. Euro kosten, glaubt MSK-Mitgründer und Geschäftsführer Onnen Siems.

Was die Reisepreissicherung angeht, so bleibe zu hoffen, dass -anders als bei der Insolvenz von Thomas Cook – sich dieses Mal die Insolvenzen auf viele Reisepreisabsicherer verteilten. Dann stünde die Höchsthaftungssumme von 110 Mill. Euro im Jahr 2020 mehrfach zur Verfügung.

Die Aktuare von MSK zählen 70 Kompositversicherer im deutschsprachigen Raum zu ihren Kunden. Zusammengenommen decken diese rund ein Viertel des Marktes ab. In der Rechtsschutzversicherung liegt der Marktanteil bei rund 30 %.

Die Berater sehen Versicherer mit großem Privatkundengeschäft aber auch als Profiteure der aktuellen Situation. Durch die eingeschränkte Mobilität sinken die Schadenzahlen. So sind die Kfz-Unfälle seit dem Shutdown um bis zu 50 % rückläufig. „Bis Ende April kann die Branche so voraussichtlich mehr als 1 Mrd. Euro an Schadenaufwendungen einsparen“, sagte Siems. Auch die private Haftpflichtversicherung, die Unfallversicherung sowie die Hausratversicherung profitieren davon, dass weniger passiert und die Zahl der Wohnungseinbrüche drastisch sinkt.

Die Versicherungsaufsicht BaFin geht davon aus, dass sich die Coronakrise nicht als existenzbedrohend für die Branche herausstellt. Bei den Kompositversicherern will sie vor allem auch deren Liquiditätslage im Blick behalten, wenn Kunden in finanziellen Nöten vermehrt um Beitragsstundungen bitten.

Was kommt nach der Krise?

Die Aktuare von MSK gehen davon aus, dass es nach dem Ende der Pandemie Rufe nach einer oder nach der richtigen Pflichtversicherung geben werde, und verweisen auf Entsprechendes nach dem Hochwasser 2002 und der Pleite von Thomas Cook.

„Die Antwort der Branche wird lauten, dass Pandemierisiken nicht versicherbar sind. Aber so einfach sollte man es sich nicht machen und stattdessen nach Alternativen suchen“, kommentierte MSK-Mitgründer und Geschäftsführer Andreas Meyerthole. Die Versicherer könnten nach seiner Ansicht auch den Kumul in ihren Versicherungsbedingungen limitieren, und bei Überschreitung des Limits würde es zu einem Verteilungsverfahren kommen, falls deutsche oder europäische Schutzschirme nicht einspringen.

„Man könnte den Versicherern erlauben, Mehrjahresverträge mit Beitragsanpassungsklausel abzuschließen, die ihren Niederschlag in der Prämienrückstellung unter Solvency II finden würden“, schlug Meyerthole vor. „Und schließlich könnten analog zur Großrisikenrückstellung für Pharmarisiken die Versicherer Teile der Beiträge steuerfrei zurückstellen, um für den Fall der Fälle vorzusorgen.“