Unter diesem Motto fand am 31. März 2022 die dritte Ausgabe der Aktuariellen Stunde statt. Dabei diskutierten Jonas Krotzek (Zentralbereichsleiter Deutschland der E+S Rückversicherung AG) und Dr. Andreas Meyerthole (Geschäftsführer von Meyerthole Siems Kohlruss (MSK)) über die versicherungstechnischen Erkenntnisse aus dem Hochwasser an der Ahr.
Das Sturmtief BERND im Sommer 2021 war mit einem versicherten Schadenaufwand von 8 - 10 Mrd. Euro die verheerendste Naturkatastrophe der letzten Jahre.
Über die Wiederkehrperiode eines solchen Ereignisses referierte der leitende Berater Tommy Berg mit Blick auf das sogenannte Standardmodell; nicht ganz unwichtig, denn über das Standardmodell wird der Kapitalbedarf der deutschen Versicherungswirtschaft ermittelt.
Wiederkehrperiode und Kapitalbedarf
Aus der Standardformel resultiert demnach ein 200-Jahres-Ereignis für Deutschland in Höhe von 16 Mrd. Euro, so dass die Wiederkehrperiode von BERND für ganz Deutschland bei deutlich unter 100 Jahren liegen dürfte.
Anders verhält es sich bei einem Blick auf die betroffenen Hochwassergebiete, für die das Standardmodell lediglich ein 200-Jahres-Ereignis von 1,8 Mrd. Euro ausweist. Diese Zahl lässt zwei unterschiedliche Interpretationen zu. Entweder tritt ein solches Ereignis im Ahrtal tatsächlich statistisch nur alle 1000 Jahre oder seltener auf oder das Standardmodell unterschätzt das Auftreten extremer lokaler Ereignisse.
Die E+S Rück gelangt auf Basis der verwendeten Naturgefahrenmodelle sowie der aus bestehenden Beteiligungen abgeleiteten Erkenntnisse zu einer ähnlichen Bewertung und ordnet das Ereignis BERND für den Gesamtmarkt bei einer Wiederkehrperiode von 50-80 Jahren ein.
Review bestehender Modellierungen
Aus BERND hat die E+S Rück neue Erkenntnisse für die interne Modellierung gewonnen. Auf der einen Seite wurde der Einfluss der Fließgeschwindigkeit auf das Schadengeschehen bei einem derartigen Ereignis unterschätzt; in der Kasko-Versicherung blieb den Anwohnern beispielsweise entgegen zunächst getroffener Modellannahmen zu wenig Zeit, um Autos umzuparken. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass bestehende Modellierungen für die Gefahr Flut in Deutschland einem Review unterzogen wurden bzw. werden und sich dies auch auf die Schadenbedarfe und damit steigenden Rückversicherungspreise in der Erneuerung ausgewirkt hat.
Mit der Frage, ob auch im Originalgeschäft signifikante Preisanpassungen der Elementarkomponente in der Verbundenen Gebäudeversicherung notwendig sind, beschäftigte sich der leitende Berater Johannes Paschetag. Auf der Basis der historischen Schadenbelastung und der geschätzten Beitragseinnahmen kam Paschetag zu der Erkenntnis, dass die Schäden aus BERND wohl eingepreist sein müssten und wenigstens kein erheblicher Anpassungsbedarf bestünde.
Steigende Rückversicherungspreise
Anders sieht es bei den Rückversicherungspreisen aus, die laut Krotzek für die Erneuerung 2022 angepasst werden mussten, weil Versicherungsbestände weiter gewachsen und Baukosten massiv angestiegen sind. Hinzu kommt dann noch, dass Modelle wie oben beschrieben rekalibriert wurden.
Doch nicht nur die Preise mussten angepasst werden. Krotzek berichtete, dass einige Deckungen durch BERND vollständig abgeräumt wurden und daher einige Zedenten für 2022 mehr Deckung eingekauft haben und in der Erneuerung 2022 mehr Kapazität nachgefragt wurde.
Das dürfte aber nur ein Vorgeschmack auf den Kapazitätsbedarf sein, der durch die Einführung einer Pflichtversicherung für Elementar entstünde. Dr. Meyerthole berichtete von einem zusätzlichen Eigenkapitalbedarf von ca. 15 Mrd. Euro auf den heutigen Kapitalbedarf von ca. 45 Mrd. Euro für alle deutschen Schaden- und Unfallversicherer, allerdings vor Rückversicherung. Krotzek erläuterte in diesem Zusammenhang seine Einschätzung, dass der Markt im allgemeinen und damit auch die E+S Rück ihren Zedenten ausreichend Kapazität bieten könne, wenn denn der Preis für die Risikotragung angemessen ist.
Wie sind vertikale Wiederauffüllungen zu bewerten?
Zu guter Letzt gingen die Gesprächspartner der Frage nach, ob es innovative Rückversicherungslösungen gäbe jenseits der Möglichkeit, mehr Haftstrecke einzukaufen.
Die sogenannte vertikale Wiederauffüllung ist nach Krotzek keine Lösung, weil der Rückversicherer die zusätzliche Kapazität einplanen und bepreisen muss.
Und auch strukturierte Rückversicherungslösungen sind mit Laufzeiten zwischen drei und fünf Jahren in der Lage, traditionelle Deckungen sinnvoll zu ergänzen, nicht aber zu ersetzen.
So werden die Versicherer am Ende im Rahmen einer unternehmenseigenen Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung (ORSA) untersuchen müssen, ob sie mehr Rückversicherung kaufen oder das (zusätzliche) Risiko im Eigenbehalt getragen werden kann – von den Klimawandelszenarien haben wir in diesem Zusammenhang noch gar nicht gesprochen.
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Über MSK
Meyerthole Siems Kohlruss (MSK) wurde 1998 in Köln als erste deutsche aktuarielle Beratungsgesellschaft gegründet und begleitet Schaden- und Unfallversicherer in strategischen und operativen Fragen. Schwerpunkte liegen in Datenpools, Tarifierung, Telematik, Cyber, Nachhaltigkeit, Bilanzbewertungen, Rückversicherung, Solvency II und EbAV II. Seit 2011 ist das Informationssicherheitsmanagementsystem von MSK nach ISO 27001 zertifiziert.