Silvia Ellinger, VWheute, vom 17. September 2014
Alternative Vertriebswege und neu aufkommende Fahrzeugtechnologien werden nach Aussagen von Onnen Siems zu deutlichen Verschiebungen im Kfz-Versicherungsgeschäft führen. Im Interview mit VWheute spricht der Geschäftsführende Gesellschafter der Beratungsgesellschaft Meyerthole Siems Kohlruss über Zukunftsperspektiven und eine grundlegende Erneuerung der Branche.
VWheute: Für die Kfz-Versicherer nähert sich die Wechselsaison 2014/2015. Was wird auf die Branche zukommen?
Siems: Die deutschen Kfz-Versicherer werden in diesem Jahr Rekordeinnahmen von insgesamt über 24 Mrd. Euro verbuchen. Nach einer aktuariellen Hochrechnung unseres Hauses wird die Kfz-Branche für 2014 das beste Ergebnis seit acht Jahren erzielen. Wir erwarten − wenn Naturkatastrophen bis zum Ende des Jahres ausbleiben − eine abgewickelte Schadenkostenquote i. H. V. 96 Prozent. In diesem Umfeld ist es durchaus eine Überlegung Wert, durch niedrigere Prämien im Neugeschäft Marktanteile hinzuzugewinnen. Entscheidend ist der Gesamtertrag. Dazu wäre gerade jetzt ein guter Zeitpunkt. In der aktuellen Jahresendrallye ist noch keine Prämienerosion in Sicht. Dies zeigt der K-Tarif-Alarm, eine hauseigene, regelmäßige Auswertung, mit der wir Kfz-Tarife beobachten. Zwar gibt es eine Zahl an Versicherern, deren Prämien geringer ausfallen als im Vergleichsmonat September 2013. Aber gleichzeitig fällt bei doppelt so vielen Versicherern das Prämienniveau höher aus als im Vorjahr.
VWheute: Mit welchen Marktverschiebungen rechnen Sie? Wie entwickeln sich die einzelnen Vertriebswege?
Siems: Ich sehe vier große Elemente, die uns grundlegende Veränderungen bringen. Dies sind zunächst die alternativen Vertriebswege. Nachdem das Vergleichsportal Transparo gescheitert ist, schaut der Markt gespannt auf das angekündigte Portal von Google. Dem Google-Konzern wird viel zugetraut. Ich rechne mit deutlichen Marktverschiebungen. Als nächstes Element ist der Vertriebsweg Autohaus/ Paketverkauf von Finanzierung und Versicherung zu nennen. Dieser Vertriebsweg wird deutlich zunehmen. So hat Daimler Insurance Services mit Ingo Telschow einen ausgezeichneten Versicherungsmanager mit langjähriger Führungserfahrung in der Erstversicherung an die Spitze geholt. Das dritte Element ist die Telematik. Ich glaube, dass sich diese Technologie, trotz aller ethischer Bedenken, in der Breite durchsetzen wird. Auch sie wird den Markt stark verändern, da sie eine individuelle Tarifierung mit sich bringt. Vor kurzem hat die Allianz bekannt gegeben, dass sie Frank Sommerfeld in den Vorstand beruft. Er ist ein glühender Verfechter von “Pay as you drive”. Dies wird dieser Technologie einen Schub für Deutschland bescheren. Das letzte Element ist das autonome Fahren. Wenn es eines Tages technisch ausgereift ist, muss sich das Versicherungswesen grundlegend erneuern. Noch ist nicht einmal geklärt, ob die Haftung beim Hersteller oder bei den Programmierern liegen wird – einen Fahrer, den man belangen kann, wird es bei selbststeuernden Autos ja nicht geben.
VWheute: Wie können sich die Kfz-Versicherer auf die Veränderungen einstellen?
Siems: Sie sollten sich im Pricing nicht nur auf den GDV verlassen. Zwar ist er, aufgrund der hohen Marktrepräsentanz, die stabilste Kalkulationsgrundlage, aber zugleich stellt er immer nur den kleinsten gemeinsamen Nenner der möglichen Tarifmodelle dar. Es sei jedem Versicherer dringend empfohlen, über den GDV-Tellerrand hinauszuschauen. Es zahlt sich aus, zumindest
erweiterte bzw. alternative Modelle zu entwickeln – auch gegen mögliche Widerstände aus Vertrieb und Informatik.