Ellen Bocquel, bocquel-news, vom 5. September 2014
Wie sieht die Zukunft für Auto und Kfz-Versicherung aus? Bleibt das Auto das beliebteste Statussymbol hierzulande? Technische Entwicklungen und ein veränderter Bedarf erfordern neue Assekuranz-Strategien, hieß es bei der K-Tagung der Scor und MSK-Aktuaren.
Die "Kfz-Versicherung am Scheideweg", das anspruchsvolle Motto der K-Tagung 2014 gestern in Köln begann mit einem brisanten Thema. Die Veranstalter des Treffens auf internationalem Niveau, die Scor Global P&C Deutschland und die MSK aktuarielle Beratung mbH Meyerthole Siems Kohlruss, gewannen Dr. Per-Johann Horgby, Mitglied des Vorstandes der VHV Versicherungen für einen lebhaften Diskurs über "innovative Pricingstrategien" in der Autoversicherung.
Angesichts weitgreifender technischer Veränderungen könnten Prognosen zur Zukunft der Autoversicherung nicht einfach gestellt werden, sagte der gebürtige Schwede und VHV-Vorstand für das Privatkundengeschäft Horgby. "Die Nachfrage nach Autoversicherungen hänge vom Primärmarkt ab. Horgby verwies dabei auf eine notwendige qualitative Analyse.
Seiner Ansicht nach sind künftig die Haupttreiber in der Kfz-Versicherungen- auch was das Pricing betrifft - technische Neuerungen - wie Assistenz-Systeme und die technische Voraussetzung für das autonome Fahren. Außerdem gehöre dem "vernetzten" Kfz (Connected Car) die Zukunft, ebenso wie neuen Mobilitätskonzepten. Für das Pricing würden künftig auch die Werkstattleistungen immer wichtiger.
Assistenz-Systeme: Fahrerassistenz-Systeme steigern die Verkehrssicherheit und reduzieren die Schadenhäufigkeit. Per-Johan Horgbys Prognose: Stetige Verbreitung der Fahrerassistenz-Systeme (jedoch gegen Aufpreis). Die so erzielte erhöhte Sicherheit bewirke letztendlich auch eine starke Reduktion der Unfallzahlen.
Autonomes Fahren:Autonome Fahrzeuge werden sich (sehr) langfristig auf das Geschäftsmodell der Kfz-Versicherung auswirken. Per-Johan Horgbys Prognose: Bis 2020 keine wirkliche Marktdurchdringung; aber bis zum Jahr 2040 werden nach Expertenberechnung circa 75 Prozent aller Autos "autonom" fahren. Dadurch werde eine signifikante Senkung der Schadenhäufigkeit der Kollisionsschäden realisiert. Kommt es doch zu einem Schaden, werde der voraussichtlich teurer ausfallen, weil die Systeme für das autonome Fahren kostspielig sind.
Daraus ist laut Horgby abzuleiten, dass künftig die Schadensabwicklung dadurch wichtiger und die Schadensprognose (Tarifierung) unwichtiger werden. "Im Übergangszeitraum werden wahrscheinlich hybride Modelle dominieren", betonte der VHV-Vorstand. Allerdings sei die gesetzliche Zulassung noch sehr unsicher.
Vernetzte Kfz(Connected Car): Die sogenannten OEMs (Original Equipment Manufacturer - übersetzt Originalausrüstungshersteller - Automobilhersteller) können ihren Informationsvorsprung gegenüber den Kfz-Versicherern nutzen.
In der Automobilbranche müsse auch das stärkste Innovationsfeld in Sachen Kfz-Versicherung gesehen werden. Die OEMs arbeiten laut Horgby bereits "mit breiter Auswahl an vernetzten Angeboten (Navigation, Parkplatz-Finder, Internet, eCall sowie Diebstahltracking). Dazu sei zu beachten, dass eCall ab Oktober 2015 in allen neuen PKW Modellen verpflichtend installiert sein müsse.
Dabei könnten die Kfz-Versicherer leicht ins Hintertreffen gelangen, denn die benötigen den Zugang zu Kfz-Daten (On-Board-Unit), um den Gleichschritt bei Tarifierung und Schadenmanagement gegenüber den Automobilherstellern aufrecht halten zu können.
Die sogenannte "Telematik-Box" sieht Dr. Per-Johan Horgby als Zwischenschritt, was den technischen Fortschritt angehe. Seine Prognose: Das Infotainment steigt. Die Nutzung für Versicherung (außer eCall) sei jedoch eher fraglich.
Mobilitätskonzepte: Hier merkte Per-Johan Horgby an, dass es viele Mobilitätskonzepte gebe, aber keins derzeit erfolgreich sei. So bestehen seinen Angaben zufolge beispielsweise Car-Sharing-Konzepte seit 25 Jahre in Deutschland. Und trotzdem seien im angeblich stagnierenden Kfz-Markt die Urbanisierung und die demographische Entwicklung Treiber des immer noch wachsenden Bedarfs an Autos. Horgby: "Seit 2011 gibt es einen sprunghaften Anstieg bei der Zahl von Fahrzeugen." Für das Jahr 2011 nannte er ein Plus von 5.000 Autos, für 2013 sogar plus 11.250 Autos.
Als Grund nannte der VHV-Produktvorstand, dass inzwischen große Autohersteller eingestiegen sind (car2go von Daimler, DriveNow von BMW, QuiCar von VW). Horgbys Prognose: Mobilitätskonzepte bleiben ein Randthema, die Ertragslage schwierig. Dadurch werde die Entwicklung der Kfz-Individualverkehr rückläufig sein.
Werkstattleistungen:In Zukunft werden eher spezialisierte Werkstätten die erhöhte Komplexität der Fahrzeuge meistern. Dr. Horgby nannte hierzu die zunehmende Komplexität der Reparaturen (Material, technische Systeme). Vorwiegend markengebundene Werkstätten könnten neue, komplexere Fahrzeuge reparieren. Das verringere die Wettbewerbsfähigkeit der freien Werkstätten und führe tendenziell zu höheren Reparaturkosten für die Versicherer. Horgby Prognose: Tendenz zu höheren Durchschnittsschäden.
Die vier Thesen der KFZ-Versicherungszukunft
Für eine erfolgreiche Zukunft der Kfz-Versicherung nannte der VHV-Manager vier Thesen.
These 1: Bis 2020 bleibt der Markt für Autoversicherungen ein stabiler aber zyklischer Markt.
These 2: Die verbesserten Sicherheitstechnologien reduzieren die ohnehin stark gesenkte Schadenhäufigkeit.
These 3: Aktuarielle Risikomerkmale werden sich durchsetzen.
These 4: Keine großen disruptiven Innovationen.
Aber - so räumte Per-Johan Horgby ein: "Die Telematik kann die Spielregeln verändern."
Das Pricing muss immer zuerst kommen Alle technischen Neuerungen beeinflussen die Tarifierung der Kfz-Versicherung. Horgby: "Egal, was man anfasst. Das Pricing muss immer zuerst kommen, das ist das Wichtigste." Es were in dieser Hinsicht viel zu wenig auf die Aktuare im Unternehmen geachtet. Der Preis orientiere sich über die Zeit nur am Risiko (Schadenbedarf), machte Horgby deutlich. Er nannte die Thesen "Prämie = Risiko", "Prämie = Differenzierungsfaktor" und "Risikoselektion = Geschäftssteuerung".
Als eine der innovativen Strategien nannte Dr. Horgby das "disruptive" (= zerstörerische) Pricing. Qualitative Prognose vom Einfluss der (disruptiven) Veränderungen. Gesamteffekt (disruptiver) Innovationen.
Zu den vier Thesen stellte der Versicherungsvorstand vier Ideen, wie etwa die Idee Nr 1: die richtige "Nutzung der GDV-Merkmale". Er frage sich, weshalb man die GDV-Merkmale in den Unternehmen nicht nutze?
Falsche Analyse der einzelnen Altersgruppe der Versicherungsnehmer? Dazu gehöre beispielsweise die Analyse der einzelnen Altersgruppen der Versicherungsnehmer. "Die meisten Versicherer tarifieren junge und alte Fahrer falsch", lautete das klare Urteil des VHV-Vorstandes. Der "Markt" weiche von den GDV-Merkmalen mehr oder weniger stark. Dabei sollte man der GDV-Empfehlung tunlichst mehr Beachtung schenken.
Idee Nr. 2 von Per-Johan Horgby: die "Tarifierung nach Fahrtüchtigkeit". Der Allgemeinzustand des Fahrers beeinflusst seinen Angaben zufolge das Fahrverhalten. Die Nutzung der biologischen Diagnostik sei daher empfehlenswert.
Die Idee Nr. 3 betrifft die "Tarifierung nach Verkehrssicherheit", denn es sei sicher, dass der Zustand des Fahrzeuges den Schadenverlauf beeinflusse. Den "TÜV-Merkmalen" müsse mehr Beachtung zukommen.
Als Idee Nr. 4 nannte Horgby die "Tarifierung nach Fahrverhalten". Da könne er handfeste Daten nennnen, den die VHV fahre ein Testfeld mit Echtdaten. Dabei geht es um die Nutzung der sognannten GPS-Technologie (Telematik).
Der Versicherer aus Hannover hat dazu seine Versicherungsnehmer befragt. Danach würden sich über 80 Prozent der Kunden erneut für eine Telematik-Versicherung entscheiden. Das hat das Analyse-Testfeld VHV "Telematik-Garant" ergeben.
In Sachen Pricing-Innovation sieht Horgby Potenzial zur Disruption in der Telematik. Doch von der technischen Lösung mit der Telematik-Box sei es nicht weit zur Nutzerfreundlichkeit via Handy-App.
Seine klare Prognose dazu: Mit Telematik-Box und Handy-App gebe es eine erfolgreiche Zukunft.
Für den Kfz-Versicherungsmarkt insgesamt äußerte Per-Johan Horgby: "In der Summe wird der Beitrag in der Autoversicherung stabil bleiben - bei circa 24 Milliarden Euro bis über das Jahr 2022 hinaus." Durch den "Mengeneffekt" könne der Gesamtbeitrag sogar noch leicht steigen. Innovative Pricingstrategien seien das Gebot der Stunden.