Von Ellen Bocquel, Bocquel-News, vom 3. September 2015
Die „schöne“ neue Kraftfahrtwelt – Motto der K-Tagung 2015 in Köln - ist keine „heile“ Welt. Die Autoversicherer erzielten zwar 2014 zum ersten Mal wieder auskömmliche Ergebnisse, doch die Prämien werden trotzdem anziehen; zu viele Baustellen sind auch mit Telematik und „e-Call“ zu bearbeiten.
„Schöne“ neue Kraftfahrtwelt? Die weit über hundert Besucher der bereits zur Tradition gewordenen „K-Tagung“ - gemeinsam veranstaltet von der Scor Global P&C Deutschland und der MSK Meyerthole Siems Kohlruss Gesellschaft für aktuarielle Beratung mbH gestern in Köln – erlebten bei der Fülle der qualitativ hochwertigen Vorträge und Präsentationen ein wahres Wechselbad der Gefühle. Die Kraftfahrtversicherung in Deutschland – seit Jahr und Tag ein brisantes Thema mit Höhen und Tiefen, was die Schadenhäufigkeit und die Schadenschwere anbelangt, ist offensichtlich seit vergangenem Jahr in eine Art Erholungsphase eingeschwenkt. Im deutschen Kraftfahrtmarkt wurden für das Jahr 2014 - nach sechs harten Jahren - wieder positive versicherungstechnische Ergebnisse ausgewiesen. Ersten Hochrechnungen des GDV Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft zufolge kann man auch 2015 wieder davon ausgehen – wohl aber auf etwas niedrigerem Niveau.
Erstmals richtete Helmut Söhler als Hauptbevollmächtigter der Scor Global P&C Deutschland – in der Nachfolge von Robert Oberholzer – das Wort an das Fachpublikum. Die K-Tagung sei schon vor seinem Amtsantritt in Köln seine Lieblingsveranstaltung gewesen, sagte Söhler. Sie sei - wie seit Jahren - eine technisch ausgefeilte Tagung mit globalen und lokalen Themen, die dem Anspruch des technischen weltweit tätigen Rückversicherers gerecht werde.
Analyse der jüngsten Entwicklung der K-Märkte
Die Scor-Aktuarin Nicole Hustig analysierte die jüngste Entwicklung der K-Märkte Deutschlands, Polens, Österreichs und Dänemark. Vor allem die Kaskoversicherung sei hierzulande auf einem guten Weg wieder profitabel zu werden. Dennoch sei man noch nicht am Ziel. Was den Schadenbedarf für 2014/2015 betrifft, würde die Prämie wieder auskömmlich sein. Das läge auch daran, dass zuletzt hohe Schäden durch Hagel oder andere Naturkatastrophen beinahe gänzlich ausgeblieben waren. Nicole Hustig deutete an, dass der Schadenbedarf auch zukünftig ansteigen werde. Und damit die Prämie auskömmlich bleibe, werde auch sie in Zukunft weiter steigen.
Mit Fokus auf den polnischen Markt sprach die Scor-Aktuarin von einem äußerst schwierigen Marktumfeld, weil hier Preiskampf und erhöhte Schadenbelastung aufeinander treffen. Keine Frage: Hier müsse der Markt reagieren.
In Österreich wiederum – so Nicole Hustig – könne man das zyklische Verhalten der Vergangenheit nicht mehr zu beobachten. Hier sei der Wettbewerb mehr oder weniger ausgereizt, folglich würden sich die Schaden-Quoten in den letzten Jahren sehr stabil zeigen.
„Dänemark ist der Vorzeigemarkt innerhalb der Nachbarländer Deutschlands“, betonte Nicole Hustig. Ob das in Zukunft so bleiben werde, sei ernsthaft zu hinterfragen; denn wegen vergangener Profitabilität steige der Druck nach Prämiensenkungen spürbar. Ohne Zweifel würden sich die vier Länder deutlich voneinander unterscheiden. Gemeinsam sei, dass überall niedrige Margen den K-Markt prägen. Als Resümee sei anzumerken, dass im derzeitigen Markt Polen schwierig, Dänemark anspruchsvoll, Österreich ruhend – und Deutschland entspannt seien. Nicht nur – aber auch, weil zuletzt größere Naturereignisse ausblieben. Letztendlich sein die „schöne“ neue Kraftfahrtwelt – wie das Motto der K-Tagung vorgab – nicht überall gefällig und rund. Der K-Markt bleibt demnach weiterhin in Bewegung.
Telematik - Trend der Kfz-Zukunft
Der Trend der Kfz-Zukunft, die Telematik, trieb auch die K-Tagungsbesucher und Referenten um. Mit Blick auf den bald zu realisierenden technischen Fortschritt hatte erst kürzlich ein Sachverständiger verlauten lassen: „Im Markt für Kfz-Versicherungen bleibt in den kommenden Jahren kein Stein auf dem anderen.“ Einen ersten Einblick in die Praxis, in der die Telematik-Box als Pilotprojekt bereits in knapp 300 Autos mitfährt, gab Uwe Ludka, Vorstandsvorsitzender der Itzehoer Versicherungen. Der Trend der Vernetzung (Überwachung) und Steuerung werde tendenziell von der Gesellschaft unterschätzt, insbesondere darüber, welche Informationen bereits vorliegen. Politisch gewollt sei die Vernetzung auch aus Gründen wie Verbrechensbekämpfung oder Schadenbegrenzung.
Datenschutz stellt Telematik nicht in Frage
Auch zum von Kritikern gern zitierten Datenschutz, der Gefahr auf der ganzen Linie bedeuten könnte, steht laut Ludka nicht zur Disposition. Datenschutz müsse beachtet werden, stelle aber die Telematik nicht grundsätzlich in Frage. Die gesellschaftliche Fragestellung müsse lauten: Wieviel Kontrolle und welche Steuerung in Sachen Telematik ist für Sicherheit und Gerechtigkeit geboten? Wo endet der Nutzen und wo überwiegt die Überwachung? Ludka ist der Ansicht, dass die Regeln dazu von der Politik festzulegen seien, wobei die Versicherer als Anbieter Teil des Prozesses sind. Nur wer auf neue Vertriebs-/ und Produktwege setze, könne derzeit bei Kunden punkten und wachsen.
Uwe Ludka ließ kurz die wichtigsten Eckdaten der Itzehoer Versicherungen Revue passieren: Demnach war in den 1980er Jahren der Ausbau zum Allsparten-Versicherer - insbesondere für den Privatkunden und - dem Umfeld von Itzehoe angemessen - für Landwirte (Mehrspartenstrategie) vollzogen worden. „In diesem Jahrtausend haben wir die Entwicklung einer Mehrvertriebswege-Strategie - neben dem VL-Vertrieb sowie Aufbau eines Makler- und Direkt-Vertriebes - in unserer Kernsparte Kfz installiert“, sagte Uwe Ludka. Damit einher gehe der Abbau der regionalen Abhängigkeit durch die neue Vertriebs-Strategie. Als eine der besonderen Stärken der Itzehoer sieht Ludka „unsere Vertrauensleute vor Ort“ sowie die unternehmenseigene Qualität in der Kfz-Versicherung.
Beim Thema „Telematik in der Kfz-Versicherung“ verstehe sich die Itzehoer als einer der Pionier im Markt. Den frühzeitigen Einstieg in die neue Technologie schaffe einen Vorsprung. Sicherlich sei das auch die Basis zum Aufbau neuer Tarifstrukturen. Den Kfz-Tarif im Wandel beschrieb er mit dem „KW-Tarif bis 1994“, gefolgt vom „Typen-Tarif in den Jahren 1995 bis 2018. Der Telematik-Tarif komme ab dem Jahr 2019. „Heutige Tarifmerkmale sind statisch, in Zukunft stehen sie digital zur Verfügung.“ Das würde auch eine höhere Qualität bedeuten.
Faktisch beschäftigen sich laut Uwe Ludka bereits alle großen Autoversicherer mit der Telematik fürs Auto. So haben bereits der Marktführer Huk-Coburg sowie die Allianz, die VHV, der öffentlich-rechtliche Versicherer Sparkasse Direkt und auch die Itzehoer die Einführung von Telematik-Tarifen angekündigt und damit vermutlich schon im Herbst 2015 – also recht bald – in den Markt gehen.
Grundsätze der Versicherungsmathematik ändern sich nicht
Allen Unkenrufen zum Trotz würden sich dadurch die Grundsätze der Versicherungsmathematik nicht ändern. Das Grundprinzip des Ausgleichs im Kollektiv bleibe bestehen, da nur so Großschäden zu tragen sind. „Die Segmente dürfen daher nicht zu klein werden“, sagte Ludka. Der Aufbau dieser Tarife und der Erforschung der Potenziale von neuen Tarifierungsmerkmalen bleibe eine große Herausforderung, zumal derzeit noch Daten und Know-how über diese Daten fehlen. Hier sieht der Itzehoer-Chef den GDV sowie Statistikunternehmen, Rückversicherern und/oder Berater in der Pflicht.
In der ersten Testphase hatte die Itzehoer 288 Telematik-Einheiten (Boxen fürs Auto) ausgegeben. Das Datenvolumen hatte 800 Megabyte bei einer Fahrleistung insgesamt von circa 2.000.000 Kilometer betragen. Es hätten sich dabei viele Herausforderung ergeben, „aber nichts Unlösbares“, sagt Ludka.
Der Trend zur Telematik im Kfz-Versicherungsbereich sei nicht mehr aufzuhalten. Frühzeitige Erforschung war für die Itzehoer wichtig, um einen Wissensvorsprung zu nutzen und nicht gleich Teile der Wertschöpfung an die Autohersteller verlieren. Im Bereich der Tarifierung fehle es noch an Erfahrung. Doch zu Beginn stehen bei der Itzehoer Schadenmanagement und Kundenbindung im Fokus.
Auch MSK-Geschäftsführer Onnen Siems mischte sich in die Diskussion um die Telematik während der K-Tagung 2015 ein. „Die großen Hoffnungen, die sich mit der Telematik verbinden, sind zerbrechlich“, sagte er. „Die Versicherer wollen mit der Telematik die Autohersteller bekämpfen.“ Als Kampfmittel eigne sich diese Technik aber nicht. Oder es droht ein böses Erwachen. Vielen Tagungsteilnehmern bekannt, verwies Siems auf eine frappierende Erfahrung, die erst kürzlich US-Forscher machten. Sie zeigten, wie die Telematikbox in einem Auto der Marke Corvette mit Hilfe einer simplen SMS via Smartphone zu knacken ist. Abenteuerlich sei die Erfahrung gewesen, dass sich quasi mit dem Handy die Bremsen des Autos ferngesteuert manipulieren ließen. Siems: „Willkommen in der ‚schönen‘ neuen Kraftfahrtwelt, unserem Motto der diesjährigen K-Tagung.“ Sicherlich würden die Versicherer auch aus solchen Pannen lernen. Neue Techniken bringen neue Gefahren, das sei nichts Neues. Auch wenn die Telematik hierzulande schon ausgefeilter sei, so werde es trotzdem die totale Sicherheit nie geben.
Verheben sich die Versicherer hier?
Kritiker fürchten, dass die Versicherer sich mit der Telematik verheben könnten, weil sie mehr kostet als sie in absehbarer Zeit einbringe. Wer Telematik-Rabatte für vorsichtiges Fahren anbietet, müsste folgerichtig einen Preisaufschläge für riskantes Fahren erheben. Eine Utopie, denn das sei im Markt nicht durchzusetzen. Siems: „Damit droht ein neuer Preiskampf.“
Über dieser Diskussion dürfe nicht vergessen werden, dass es bei der Telematik im Kern um Erstinformation zu Autounfällen gehe. Dadurch könnten durch einen Unfall beschädigte Fahrzeuge in verbundene Netzwerkstätten gesteuert werden – der entscheidende Hebel für sogenannte Werkstatt-Tarife. Siems sagte, dass dies die Autohersteller an ihrer ertragreichsten Säule, dem eigenen Werkstattgeschäft, treffe. Die Autohersteller sind demnach als mächtige Gegenspieler nicht zu unterschätzen.
Neue Autos mit “eCall” ab 2018 obligatorisch
Seit es amtlich ist, dass ab dem Jahr 2018 alle neuen Pkw mit “eCall”, einem automatischen Notrufsystem ausgestattet werden, bekommen die Hersteller via “eCall” ohnehin direkte Informationen zu Unfällen. Es könnte sein, dass sie diese Infos sogar exklusiv abgreifen können. Stellt sich die Frage, ob da die Telematik mithalten kann.