Marc Surminski, Zeitschrift für Versicherungswesen, vom 18. April 2016

Steht die Kfz-Versicherung im Zuge der Digitalisierung vor disruptiven Veränderungen? Das autonome Fahren, so die Befürchtung, könnte langfristig die herkömmliche K-Haftpflicht überflüssig machen, wenn die Haftung für Unfälle irgendwann komplett auf die Hersteller verlagert wird und nicht mehr vom „Fahrer“ des Wagens übernommen werden muss. Allerdings bleibt ein Bedarf an Kasko-Deckung, denn auch in einer volldigitalen Zukunft dürfte es weiterhin Hagel und Autodiebe geben. Und nicht alle Menschen kaufen künftig umfassende Mobilitätskonzepte von den Kfz-Herstellern, sondern etliche weiterhin ein eigenes Auto, das dann entsprechend gegen Diebstahl und andere Gefahren geschützt werden muss.

Aber welche konkreten Auswirkungen könnte das autonome Fahren in nächster Zeit auf die Schadenentwicklung in der Autoversicherung haben? Die aktuarielle Beratungsgesellschaft Meyerthole Siems Kohlruss (MSK) hat hierzu eine Schätzung vorgelegt, die das Bedrohungspotenzial der Technik für die nächsten Jahre relativiert. Die Aktuare gingen für ihre Schätzung davon aus, dass sich das autonome Fahren zunächst vor allem auf die Entwicklung der Kleinschäden auswirkt, denn die Akzeptanz von Hilfsparksystemen etwa beim Parken oder beim Staufahren auf der Autobahn ist nach Umfragen des Technologieverbandes Bitkom unter deutschen Autofahrern am höchsten, und die Technik ist in diesen Bereichen auch bereits am weitesten fortgeschritten.

Gehe man als radikale Grundannahme davon aus, dass es deshalb künftig keine Kleinschäden unter 1.000 Euro mehr gebe, da vor allem das Parken durch die neue Technik übernommen werde, verringere das die Anzahl der Unfälle in K-Haftpflicht um 17,7%. „Dadurch wird der deutschlandweite Schadenaufwand aber nur um 2,4% reduziert“, sagt Dr. Andreas Meyerthole, einer der geschäftsführenden Gesellschafter von MSK, kürzlich auf einer Presseveranstaltung seines Unternehmens. In Kasko seien die Auswirkungen größer: Hier werde sich durch den Rückgang der Kleinschäden die Zahl der Unfälle um 38,1% reduzieren, was einen Rückgang des Schadenaufwandes um 11,7% bedeute.

„Alles in allem würde eine solche Entwicklung die Autoversicherung in Deutschland noch nicht revolutionieren“, sagte Meyerthole. Letztlich gehe es bei der Entwicklung des autonomen Fahrens um einen evolutionären Prozess, der seine volle Wirkung erst in Jahrzehnten entfalten werde. „Das ist heute deutlich diesseits von disruptiv“, so sein trockenes Fazit zu den Diskussionen um einen radikalen Wandel in der Autoversicherung, die momentan mit großem Elan von Medien und Berater geschürt werden.

Der deutsche Autoversicherungsmarkt ist nach Einschätzung von Meyerthole allgemein momentan noch in einer recht komfortablen Position, obwohl sich für die Zukunft Verschlechterungen abzeichnen: „Auch 2016 wird wieder ein gutes Jahr für K.“ Das Preisniveau habe sich noch einmal erhöht – zum sechsten Mal in Folge seit dem Tiefpunkt in 2010. Andererseits zeigten sich bei der Schadenentwicklung erste Anzeichen für künftige Probleme. Erstmalig seit 2010 sei 2015 wieder ein leichter Anstieg der Schadenfrequenz in K-Haftpflicht zu beobachten gewesen; beim Schadenbedarf erlebe man womöglich sogar schon eine Trendumkehr, denn er steige seit 2013 spürbar an. Diese Verschlechterung könne dazu führen, dass sich der kommende Preisverfall im deutschen Markt doch langsamer als erwartet entwickeln werde.

Gespannt ist Meyerthole auf die Auswirkungen von Solvency II in der Autoversicherung. Die deutschen Gesellschaften seien extrem üppig reserviert; interessant werde es nun zu beobachten sein, was die Gesellschaften von ihren Schadenreserven tatsächlich zeigten. Wie sich die Unternehmen hier für die Zukunft bilanziell positionieren werden, sei völlig offen.