Tobias Daniel, VWheute, vom 30. August 2016

Interview mit Michael Schramek, Referent auf der K-Tagung 2016 von Meyerthole Siems Kohlruss und der Scor

Der technologische Fortschritt und die Veränderungen in der Fahrzeugtechnik werden die Mobilität revolutionieren. Die “damit einhergehenden Veränderungen werden disruptiv sein”, prognostiziert Michael Schramek, Vorsitzender des “Netzwerks Intelligente Mobilität (NiMo)”. Eine Folge: Der “Kfz-Versicherungsmarkt, wie wir ihn heute kennen”, werde “bereits in etwa 20 bis 25 Jahren weitestgehend verschwunden sein”.

VWheute: Welche Veränderungen in der Fahrzeugtechnik und Infrastruktur sind in den nächsten zehn bis 15 Jahren zu erwarten?

Michael Schramek: Nachdem in den vergangenen 30 Jahren unsere Fahrzeuge durch den Einsatz von Assistenzsystemen wie ABS oder ESP immer sicherer wurden, kommen nun auch solche Techniken zum Einsatz, die dem Fahrer schrittweise die Arbeit abnehmen und dabei gleichzeitig die Sicherheit und den Komfort erhöhen. Die nächsten Jahre werden davon geprägt sein, diese neuen Techniken wie Navigation, Spurhalteassistent, Auffahrassistent, Tempomat und weitere zu einem Gesamtsystem zusammenzufügen, welches dann erst phasenweise und später vollständig die Führung des Fahrzeugs übernimmt.

Die Vernetzung der Fahrzeuge untereinander (Car2Car) sowie mit der Infrastruktur (Car2X) steigern die Effizienz der Assistenzsysteme, Gesten-Erkennung verbessert außerdem die Kommunikation mit Fußgängern und Radfahrern. Es ist zu erwarten, dass in fünf bis sechs Jahren Neufahrzeuge auf den Autobahnen schon weitestgehend autonom unterwegs sein werden, fünf bis zehn Jahre später werden sie sich auch auf Landstraßen und in den Städten eigenständig bewegen können. Altfahrzeuge werden über Nachrüstsätze zumindest in die Lage versetzt werden, im Sinne von Car2Car und Car2X “mitzureden” bzw. zu verstehen, was ihnen von anderen Fahrzeugen oder der Ampel mitgeteilt wird. Umsetzen wird es in diesen Fällen aber noch der Fahrer.

VWheute: Werden diese Veränderungen disruptive Auswirkungen auf das Mobilitätsverhalten und den Fahrzeugbesitz haben?

Michael Schramek: Ja, die damit einhergehenden Veränderungen werden disruptiv sein. Die neue Technik wird schrittweise vor allem auf zwei Wegen in den Markt kommen: Am Anfang in den teuren Fahrzeugen der Oberklasse bzw. der oberen Mittelklasse, und danach, sobald die Technik ausgereift und die Gesetzgebung vollzogen ist, in kleinen Stadtflitzern sowie Kleinbussen mit neun Sitzplätzen, die von Mobilitätsanbietern zur kurzzeitigen Nutzung angeboten werden, vergleichbar dem heutigen Freefloating-CarSharing.

Im Vergleich zur Nutzung des eigenen Pkw werden diese Fahrzeuge sehr günstig, vor allem aber auch sehr bequem sein. Keine Anschaffung, keine Parkplatzsorgen, einfach rufen oder herbeiwinken, einsteigen, fahren und wieder aussteigen. Bezahlt wird automatisch, per Flat oder Einzelabrechnung, mit Kilometerkosten von deutlich weniger als die Spritkosten heutiger Pkw. Zur Rush-Hour wird das Tarifmodell dazu animieren, die Fahrzeuge zu zweit oder mit mehr Personen zu nutzen, so dass die Fahrzeuganzahl im Vergleich zu heute sogar deutlich zurückgehen wird.

Die Veränderungen werden sich ab Markteinführung nicht über viele Jahre hinstziehen, sondern schon nach wenigen Jahren vollzogen sein, weil die Fahrzeuge nicht gekauft, sondern nur genutzt werden und insofern die Umstellung nicht an Lebenszyklen der Bestandsfahrzeuge gekoppelt ist. Man muss sich das wie folgt vorstellen: Ein Großstädter, der über keinen eigenen Parkplatz verfügt, vermeidet heute schon wo möglich die Nutzung des eigenen Fahrzeugs, damit er danach nicht wieder lange nach einem Parkplatz suchen muss.

Wenn es möglich ist, einfach auf die Straße zu gehen und sich ein Auto herbeizuwinken, so wie heute ein Taxi, nur viel billiger, dann werden das viele machen und nach einigen Monaten merken, dass sie ihr eigenes Fahrzeug kaum noch genutzt haben. Der Gebrauchtwagenmarkt in Europa wird zusammenbrechen, weil zu das Angebot die Nachfrage übersteigt und auch die Nachfrage nach Gebrauchten in den Zweit- und Drittmärkten zurückgeht. Auch die Zahl der Neuzulassungen wird deutlich rückläufig sein.

VWheute: Wie wirken sich die Veränderungen auf die Versicherungsbranche aus?

Michael Schramek: Selbstfahrende Fahrzeuge als nutzbares Mobilitätsangebot werden von großen Flottenbetreibern angeboten, möglicherweise von den Herstellern selbst. Entweder werden diese eigenversichert, gegebenenfalls mit externer Absicherung von Extremereignissen, oder sie werden im Rahmen eines Flottenvertrages pauschal versichert, ohne Differenzierung nach Größen, Schadenshäufigkeit und Ort.

Außerdem wird die Schadenshäufigkeit deutlich geringer sein als heute, weil die verbaute Technologie deutlich weniger fehleranfällig ist als vorher der menschliche Fahrer. Das wird auch bei den Bestandsfahrzeugen zutreffen, die per Gesetz mit entsprechender Technik nachgerüstet werden.
Schließlich wird die Anzahl der zu versichernden Fahrzeuge deutlich abnehmen.

Insgesamt ist zu erwarten, dass der Kfz-Versicherungsmarkt, wie wir ihn heute kennen, bereits in etwa 20 bis 25 Jahren weitestgehend verschwunden sein wird.