Marc Surminski, Zeitschrift für Versicherungswesen, vom 15. Februar 2017

Mit dem Einstieg der großen Autoversicherer ist der Durchbruch für Telematik in Deutschland absehbar. "Wenn es die großen Marktteilnehmer machen, werden im Laufe der Zeit alle Versicherer zum Schutz ihrer Bestände nachziehen müssen, denn sonst wäre die Gefahr der Antiselektion erheblich", sagte Onnen Siems, Geschäftsführer der aktuariellen Beratungsgesellschaft Meyerthole Siems Kohlruss (MSK), bei einer Presseveranstaltung in Berlin.

Eine ähnliche Entwicklung habe es in früheren Jahren bei der Einführung der Typklassen gegeben, die zunächst auch manche Versicherer abgelehnt hätten. Später machten dann doch alle mit, weil sich bei ihnen ansonsten die schlechten Risiken gesammelt hätten.

Telematik habe das Potenzial für eine Revolution im deutschen Kfz-Markt, so Siems. Das Problem der Telematik: Es gebe heute schlicht noch keine belastbare aktuarielle Bewertung von Risiken in der Kalkulation. Die klassischen Tarife seien aktuariell deutlich besser kalkuliert; Telematik laufe im Moment eher auf Testbasis bzw. mit ausgewählten Kunden. Hier sei künftig noch viel Forschungsarbeit nötig. MSK hat dafür vor einiger Zeit den Förderverein "VersicherungsMathematik im Bereich der Kraftfahrtversicherung" (VM4K) mit gegründet.

Wie hoch müssen die Rabatte für die Kunden sein, damit sie ihr Fahrverhalten überwachen lassen? Im Markt werden Boni bis maximal 30% gewährt. Das könne für die bevorzugten Zielgruppen der Telematik-Tarife (Fahranfänger, Senioren, Fahrer mit niedrigen Schadenfreiheitsstufen) schon attraktiv sein, erklärte Siems. Eine Ersparnis von durchschnittlich 150 Euro auf die mittleren Jahresbeiträge mache das Angebot attraktiv.

Wie hoch dürfen Rabatte für Telematik sein, damit sie sich für die Versicherer noch rechnen? Diese Frage könne man im Augenblick kaum beantworten, weil die Kalkulation noch zu unsicher sei und die tatsächliche Reduzierung der Schäden sich noch zeigen müsse. Die Kosten der Telematik seien aber relativ hoch (pro Vertrag rund 96 Euro nach Zahlen der GenRe) und müssten eigentlich über die erhofften Einsparungen bei den Leistungen gedeckt werden. Womöglich drohe hier am Ende ein neuer Preiskrieg im Markt, wenn Kfz-Versicherer gezwungen seien, aus strategischen Gründen im für sie nicht rentablen Telematik-Bereich aktiv zu sein, sagte Siems.

Die Frage sei, ob sich die deutschen Versicherer das aber angesichts der aktuellen Zinslage und der Probleme in der Lebensversicherung leisten könnten. Die Prämiendifferenzierung werde jedenfalls auch bei Telematik-Tarifen weitergehen: "Es dauert nicht mehr lange, bis es Zuschläge für schlechtere Fahrer gibt."

Das Kollektivprinzip der Versicherung sieht Siems durch die Telematik-Tarife nicht gefährdet. Das von vielen Kritikern gefürchtete "Ende der Solidargemeinschaft" gebe es nicht. Die Schäden blieben weiter im Kollektiv gedeckt, zufallsbedingte Großschäden könne man auch gar nicht anders versichern. Je nach individueller Fahrweise zahle der Telematik-Kunde künftig für sein Risiko weniger als die Standard-Prämie, er zahle aber keine "individuelle" Prämie. Das Argument vom "Ende der Solidargemeinschaft" ließ Siems nicht gelten: Schon heute würden ja beispielsweise Fahranfänger in der klassischen Tarifierung "bestraft", was allgemein akzeptiert werde.

Siems sieht die Telematik-Tarife als Waffe der Autoversicherer, um gegenüber den Kfz-Herstellern die Hoheit über die Autodaten und die Schnittstelle zum Kunden zu verteidigen. Hier stellt sich aber grundsätzlich die Frage, ob die Hersteller nicht doch am längeren Hebel sitzen: Sie sind auch unabhängig von eCall in der Pole-Position, was die Hoheit über die im Auto anfallenden Daten anbetrifft.

In Zukunft wird diese Datenmenge noch deutlich anwachsen, weil aus nahezu jedem Bauteil Daten gemeldet werden können. Was hindert die Autohersteller daran, beim Verkauf eines Neuwagens auch gleich die entsprechende Telematik-Police zu verkaufen, die dann auf viel mehr Daten zurückgreift, als es die Versicherer über ihre Alternativ-Lösungen wie Smartphone-App oder Telematik-Stecker je könnten?