VWheute, vom 29. April 2020

Die Corona-Pandemie trifft die deutsche Wirtschaft hart. Auch die Versicherer dürfte die Wucht treffen, wie eine aktuelle „Blitz-Studie“ belegen soll. Laut einer Umfrage der V.E.R.S. Leipzig GmbH und der Beratungsgesellschaft EY gehen 84 Prozent der 30 befragten Versicherungsunternehmen davon aus, dass das Neugeschäft zurückgehen wird. 57 Prozent der Versicherer erwarten sogar einen starken Rückgang.

Dies werde sich laut Umfrage auch beim Personal und bei den Prämien besonders auswirken: Demnach erwartet ein Fünftel (21 Prozent) der Unternehmen, dass die Branche wegen der Corona-Krise in den kommenden zwei Jahren Personal abbauen wird. Ebenfalls 21 Prozent gehen davon aus, dass sich die Prämien für die Versicherten erhöhen werden.

Insbesondere in den Komposit-Sparten rechnen die Versicherer von stark steigenden Schadenquoten, insbesondere bei Veranstaltungsausfallversicherungen (93 Prozent), Betriebsschließungsversicherungen (82 Prozent), Kreditversicherungen (63 Prozent) sowie Reiserücktrittsversicherungen (54 Prozent) aus. Auch in der Rechtsschutzversicherung werden deutlich höhere Schäden erwartet (25 Prozent).

Allerdings sehen 93 Prozent grundsätzlich auch Chancen für die Branche. Von denjenigen, die Chancen erkennen, erwarten wiederum jeweils 93 Prozent einen Digitalisierungsschub beziehungsweise eine Flexibilisierung der Arbeitsmodelle. 70 Prozent erwarten, dass der Vertrieb modernisiert wird. Zudem verstärke die Corona-Krise die ohnehin deutliche Tendenz zur abnehmenden Zahl an Versicherungsvermittlern (Versicherungsmakler, Ausschließlichkeitsorganisation).

Jüngsten Studien zufolge spüren überwältigende 86 Prozent der Makler bereits die Auswirkungen der Corona-Krise. Für 41 Prozent hat sie sogar einen „gravierenden Einfluss“ auf das Geschäft, zeigt eine Studie. Muss der Alarmknopf gedrückt werden; einige Stimmen am Markt widersprechen der Hiobsbotschaft und berichten gar von Zuwächsen. Eine weitere Studie sieht zwar auch Rückgänge, allerdings mit anderen Ausprägungen. Das Bild ist jedenfalls konfus.

Einen weiteren Effekt sehen die befragten Versicherungsunternehmen laut Studie von V.E.R.S. Leipzig und EY zudem in einer mittel- bis langfristigen Zunahme der M&A-Aktivitäten: 38 Prozent der Versicherer erwarten, dass es zu einer beschleunigten Konsolidierung des Marktes kommen wird.

„Die Dauer der Krise könnte für einzelne Marktteilnehmer zu einer großen Herausforderung werden, der man gegebenenfalls nicht alleine gewachsen ist“, erläutert Thomas Korte, Leiter des Versicherungsbereiches bei EY in Deutschland, der auch die marktführende Transaktions- und Strategieberatung für Versicherungsunternehmen bei EY in Deutschland und für Europa leitet.

„Jedes Unternehmen sollte jetzt sein eigenes Portfolio und auch einen Verkauf von Beständen oder Beteiligungen prüfen, wenn sie einen zu geringen Wertbeitrag für die Unternehmensgruppe leisten. Auf der anderen Seite sollten interessierte strategische Investoren den Markt genau sondieren, denn es werden sich attraktive Akquisitionen oder auch partnerschaftliche Zusammenschlüsse und Fusionsüberlegungen ergeben“, so Korte weiter.

„Die Branche hat Sorgen um ihr Image, wenn sie Zahlungen etwa bei Betriebsschließungen verweigert, weil die abgeschlossene Versicherung das Pandemierisiko nicht beinhaltet. Die Art und Weise, wie die Versicherer mit Zahlungen umgehen, wie kulant sie sind und ob sie sich beispielsweise auch an sozialen Projekten rund um die Corona-Krise beteiligen, wird auch über ihr künftiges Image entscheiden“, ergänzt Fred Wagner, Vorstand des Instituts für Versicherungswissenschaften e.V. an der Universität Leipzig.

Branche gibt sich weiter zurückhaltend mit Einschätzungen

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) wollte die Studie auf Anfrage von VWheute „nicht kommentieren. Gerade zur Entwicklung der Prämien äußern wir uns aus kartellrechtlichen Gründen grundsätzlich nicht“, so ein Verbandssprecher. Insgesamt gibt sich der Verband mit Schadenschätzungen bislang noch eher zurückhaltend.

„Die Folgen lassen sich noch nicht genau abschätzen. Die direkten, also versicherten Schäden halten sich in Grenzen: Es gibt wenige Produkte, bei denen das Pandemie-Risiko mit eingeschlossen ist. Mittelbar trifft die Corona-Krise aber auch uns sehr: Eine Rezession ist unausweichlich, damit werden es beispielsweise die Kreditversicherer mit mehr Forderungsausfällen zu tun bekommen. Grundsätzlich wirkt sich ein schwächeres Wirtschaftsgeschehen auch immer negativ auf das Neugeschäft aus“, betonte jüngst GDV-Präsident Wolfgang Weiler im Exklusiv-Interview mit VWheute.

Jedenfalls will die Branche den Kunden bei den Betriebsschließungsversicherungen durch Stundung oder Aussetzen von Prämienzahlungen entgegenkommen, betonte Jörg Asmussen, Mitglied der Geschäftsführung des GDV jüngst gegenüber NTV. Vor dem Hintergrund der aktuell heiß diskutierten Betriebsschließungsversichungen betonte der ehemalige Staatssekretär im Bundesfinanzministerium: „Da, wo es Leistungsansprüche gibt, wird ohne jeden Zweifel gezahlt. Darüber hinaus, wo es nicht versichert war oder ist, gibt es freiwillige Leistungen der Industrie für ihre Kunden.“

Nach Berechnungen der aktuariellen Beratungsgesellschaft Meyerthole Siems Kohlruss (MSK) dürfte „der Kompromiss mit DEHOGA Bayern die Branche mindestens 300 Mio. Euro kosten“, schätzt Onnen Siems, MSK-Mitgründer und Geschäftsführer des Unternehmens. Zudem wird nach Berechnungen der Aktuare auch die Assekuranz die Krise nicht ohne massive Unterstützung des Staates bewältigen können.

Jüngstes Beispiel sind die Kreditversicherer, denen der Bund 30 Mrd. Euro Rückdeckung gibt. „Der ‚bayerische Weg‘ für die Betriebsschließungsversicherung wird sicher bundesweit Schule machen und die Versicherungswirtschaft aufgrund des öffentlichen und politischen Drucks weiter belasten“, sagt MSK-Geschäftsführer Siems.

PKV-Verband sieht „verschiedene Effekte bei Leistungsausgaben“

Auch der PKV-Verband äußerte sich zurückhaltend. „Es ist noch zu früh, die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Private Krankenversicherung abzuschätzen, aber es zeichnen sich zusätzliche Belastungen ab. Bei zahlreichen Sondermaßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie werden derzeit die Kosten auf die Kranken- und Pflegeversicherung, am Ende auf die Versicherten, abgewälzt“, betont ein Verbandssprecher.

Zudem würden sich bei den Leistungsausgaben verschiedene Effekte abzeichnen: „Während medizinische Behandlung zumindest vorübergehend in geringerem Umfang stattfindet, sehen wir beim Krankentagegeld tendenziell einen Anstieg. Die Folgen mit Blick auf die medizinischen Leistungsausgaben, auf die Beitragseinnahmen oder auf das Neugeschäft können wir im Moment aber noch nicht beziffern“.

Allerdings könnte die digitale Sprechstunde in Zeiten der corona-bedingten Kontaktbeschränkungen an Fahrt gewinnen. Laut der „ti&m-Trendstudie Versicherungen“ gemeinsam mit den Versicherungsforen Leipzig findet die Mehrheit der Deutschen daher das Thema bereits relevant, fast jeder Vierte sogar sehr relevant.

42 Prozent der Bundesbürger würden telemedizinische Leistungen zudem auch selbst in Anspruch nehmen. Zudem gaben zwei Drittel der Befragten an, stark oder sehr stark auf ihre Gesundheit zu achten. Drei Viertel gehen davon aus, dass sie ihren Gesundheitszustand stark oder sehr stark beeinflussen können. Dies tun sie unter anderem durch Sport, eine gesunde Ernährung, regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen und Check-ups sowie durch die Pflege sozialer Kontakte.

BVK ist besorgt

Der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) gibt sich hingegen besorgt über die jüngsten Studienergebnisse. „Die Umfrageergebnisse von EY sind besorgniserregend für die Branche und decken sich mit den Ergebnissen einer kürzlich durchgeführten BVK-Umfrage unter Vermittlern, wonach rund Zweidrittel Umsatzeinbußen durch die Corona-Krise in diesem Jahr erwarten. 77 Prozent der Teilnehmer der BVK-Umfrage gehen zudem davon aus, dass sie zukünftig Einkommenseinbußen haben werden“, betont BVK-Präsident Michael H. Heinz.

„Dies zeigt ganz deutlich, dass die Vermittler- und Versicherungsbranche ebenfalls von der erwarteten Rezession durch die Corona-Pandemie sehr getroffen sind, und insbesondere die Vermittler, die eine hohe sozialpolitische Verantwortung für die Bevölkerung haben und mit in den Kreis derjenigen aufgenommen werden sollten, die auf staatliche Unterstützung hoffen können. Deswegen haben wir auch Bundeskanzlerin Angela Merkel angeschrieben und darum gebeten, die Vermittler zu berücksichtigen. Denn im Unterschied zu den Versicherungsunternehmen verzeichneten sie in der Vergangenheit nicht hohe Milliardengewinne, noch konnten sie große Rücklagen bilden“, erläutert Heinz.

R+V hält sich mit „seriösen Aussagen“ zurück – Ergo betont die Chancen
Auch die R+V hält sich mit „seriösen“ Einschätzungen eher zurück: „Gerade die Corona-Krise hat gezeigt, wie wichtig die persönliche Betreuung der Kunden durch unseren Außendienst ist und dass der Kunde diese auch braucht. Unser Vertriebsansatz für die Zukunft lautet daher ‚Digital und Persönlich'“, betont der Wiesbadener Genossenschaftsversicherer.

So werde R+V „dafür auch zukünftig weiter Personal anbauen. Ebenso gehen wir in den innovations- und digitalisierungsstarken Einheiten wie IT oder in speziellen Fachrichtungen wie beispielsweise dem Rückversicherungsgeschäft weiterhin von einem steigenden Bedarf an Fach- und Führungskräften aus. Eine seriöse Aussage zur Entwicklung der Prämien ist aktuell noch nicht möglich. Dafür gibt es noch zu viele unbekannte Faktoren“.

Deutlich positiver äußert sich hingegen die Ergo: „Jetzt haben wir die einmalige Gelegenheit zu sehen, wie sich die Produktivität beim mobilen Arbeiten in einer virtuellen Welt de-facto verhält. Innerhalb kürzester Zeit haben wir alle Termine, die physische Präsenz erfordern, auf Video- oder Telefonkonferenzen umgestellt, verschiedene Kollaborationstools eingesetzt und die Möglichkeiten über unsere digitalen Kanäle nochmals ausgebaut. Die Effizienz ist viel höher als ich erwartet hatte. Und ich habe das Gefühl, dass wir durch die aktuelle Situation zwar physisch Abstand halten, aber eben doch enger zusammenrücken“, erläutert Digitalvorstand Mark Klein.