VWheute, vom 28. April 2020
Der bayerische Kompromiss um die Betriebsschließungsversicherung (BSV) sorgt für neuen Ärger – nun auf politischer Ebene. Die Grünen im bayerischen Landtag kritisieren den „Kuhhandel“ und wollen die getroffenen Vereinbarungen zwischen Versicherern und Wirten zu Auszahlungen neu verhandeln.
Die Grünen bemängeln dabei vor allem, dass einige Behörden die Anträge von Gaststätten für Kurzarbeitergeld derzeit mit Verweis auf die Versicherungsprämien ablehnen würden. Zudem müssten die Gaststätten für die Auszahlung der Gelder im Gegenzug zusichern, später auf rechtlichen Schritte gegenüber den Versicherungsunternehmen zu verzichten, lautet ein weiterer Kritikpunkt der Grünen.
„Ein Deal mit juristisch bestens beratenen Versicherungsunternehmen ist für den hemdsärmeligen Minister eine Nummer zu groß“, kritisiert Fraktionschef Ludwig Hartmann. Ein weiterer Vorwurf: „In der Öffentlichkeit spielt Minister Aiwanger gern den Retter unserer Wirtsleute. Tatsächlich hat er diese mit einer Intervention zum Thema Betriebsschließungsversicherung aber in erhebliche Schwierigkeiten gebracht“.
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) wies die Kritik indes zurück. „Die Grünen versuchen hier, unter der Gürtellinie Stimmung zu machen. Herr Hartmann soll mir eine Landesregierung mit Beteiligung der Grünen zeigen, die ein besseres Ergebnis verhandelt hat als der angeblich hemdsärmelige bayerische Wirtschaftsminister. Bisher gibt es außer unserem bayerischen Lösungsvorschlag keinen einzigen“, wird er in einer Stellungnahme des bayerischen Wirtschaftsministeriums zitiert.
Zudem sei das Verhandlungsergebnis „am Ende mitgetragen von der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft, dem Hotel- und Gaststättenverband und der Versicherungswirtschaft. Die haben auf alle Fälle mehr Sach- und Fachkompetenz als Herr Hartmann und seine grüne Kollegin in Berlin.“ Außerdem seien die Fallstricke mit dem Kurzarbeitergeld natürlich vom bayerischen Wirtschaftsministerium vorher beseitigt worden, heißt es weiter.
„Außerdem ist das nur ein Lösungsvorschlag. Wer meint, per Klage oder Verhandlung mit seiner Versicherung eine bessere Lösung zu finden, kann das tun und bei der Vielzahl der Fälle erreicht eventuell jemand auch mehr – oder eben am Ende gar nichts. Unser Lösungsvorschlag bedeutet für die bayerische Gastronomie und Hotellerie eine hohen zweistelligen Millionenbetrag, schnell und ohne Gerichtsverfahren, sofern akzeptiert“, ergänzt Aiwanger.
Anfang April hatte sich Bayern mit mehreren Versicherern auf einen Kompromiss im Streit um die BSV geeinigt. Demnach sieht eine gemeinsame Empfehlung vor, dass die Versicherer zwischen zehn und 15 Prozent der bei Betriebsschließungen jeweils vereinbarten Tagessätze übernehmen und an die Gaststätten und Hotels auszahlen. Nach Angaben des bayerischen Wirtschaftsministeriums haben weitere Unternehmen bereits ihre Unterstützung signalisiert. Die Zahlung der Versicherer soll dabei nicht an die staatlichen Leistungen angerechnet werden.
Nach Berechnungen der aktuariellen Beratungsgesellschaft Meyerthole Siems Kohlruss (MSK) dürfte allein „der Kompromiss mit DEHOGA Bayern die Branche mindestens 300 Mio. Euro kosten“, schätzt Onnen Siems, MSK-Mitgründer und Geschäftsführer des Unternehmens.
Zudem wird nach Berechnungen der Aktuare auch die Assekuranz die Krise nicht ohne massive Unterstützung des Staates bewältigen können. Jüngste Beispiele sind Kreditversicherer, denen der Bund 30 Mrd. Euro Rückdeckung gibt. „Der ‚bayerische Weg‘ für die Betriebsschließungsversicherung wird sicher bundesweit Schule machen und die Versicherungswirtschaft aufgrund des öffentlichen und politischen Drucks weiter belasten“, sagt MSK-Geschäftsführer Siems.
Ein Gastronom aus Bochum hat jedenfalls den Klageweg schon beschritten und fordert von der Allianz die Auszahlung aus der BSV. Der Versicherer begründet dies auf seiner Website damit, dass COVID-19 ein neuer Krankheitserreger sei, „der nicht unter die versicherten meldepflichtigen Krankheiten der Betriebsschließungsversicherung fällt“. Außerdem sei die Schließung seiner Betriebe aus „generalpräventiven Gründen“ erfolgt und „nicht, weil von Ihrem konkreten Betrieb eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit anderer ausgeht“.
„Die staatlichen Hilfen können sicherlich gewisse Kosten auffangen, aber nicht den Gewinn abfedern, den man mit dem Betrieb erwirtschaftet. Deshalb haben wird das Angebot als unzureichend abgelehnt. Nach Klageerhebung wurde ein weiteres Argument vorgebracht, nämlich, dass es sich um keine vollständige Schließung handele. Die Gastronomiebetriebe könnten ja einen gewissen Minimalbetrieb aufrechterhalten durch Catering oder Außer-Haus-Verkauf. Die Betriebe, um die es hier geht, leben aber eindeutig vom persönlichen Besuch und Verzehr vor Ort“, begründet Anwalt Matthias Koch die Klage.
Ein juristischer Erfolg – beispielweise durch einen Vergleich – könnte jedenfalls eine Signalwirkung für die Versicherungsbranche haben. „Von so einem Vergleich würden ja wahrscheinlich sehr viele weitere Versicherungsnehmer profitieren. Auch solche, die sich nicht so schnell zu einem Rechtsstreit entschließen konnten. Deshalb stelle ich mir vor, dass sie sich damit sehr schwertun werden“, betont Koch gegenüber der Wirtschaftswoche.