Maximilian Volz, VWheute, vom 7. Mai 2020
Laut Assekurata gewinnen die Telematik-Tarife in der Kfz-Versicherung zunehmend an Bedeutung, die Leistungsversprechen der Versicherer sind bisweilen noch sehr unterschiedlich. Dies „erschwert es Kunden und Vermittlern“, die Qualität eines Telematik-Tarifes einzuschätzen.
Interessant ist, dass Assekurata an dieser Stelle ihre eigene Einschätzung vom September des Vorjahres kassiert. Damals war davon die Rede, dass am Markt eine Konsolidierung stattgefunden habe, von steigender Bedeutung wurde nicht gesprochen. Offenbar hat sich die Sicht auf das Produkt bei den Unternehmen in den letzten acht Monaten verändert. Das gilt allerdings nicht für die Kunden, nach wie vor ist das Interesse überschaubar. Laut einer Umfrage von Sirius Campus kennt zwar jeder vierte der 40 Millionen Kfz-Versicherten ein entsprechendes Angebot, aber nur jeder zehnte hat ein „großes Interesse“ an einer individuellen Tarifierung seines Fahrverhaltens.
Bestnoten für Platzhirsche
In ihrem Marktscreening untersuchte das Kölner Analysehaus sieben Tarife. Hierbei wussten insbesondere die Huk-Coburg und Allianz mit ihren Tarifen Telematik Plus beziehungsweise BonusDrive zu überzeugen. Es ist nicht überraschend, dass die beiden Platzhirsche Allianz und HUK die Nase vorn haben. Beide kämpfen mit allen Mitteln um den KFZ-Spitzenplatz und sorgen mit ihrem Wettbewerb um Preise, Technik und Tarife dafür, dass die Prämien nicht steigen und Versicherer wie die Debeka den Preiskampf verlassen haben.
Laut Assekurata sei auch jenseits der beiden Großen im Bereich Telematik bei Rabatt, Rabattformen und Messkriterien für das Fahrverhalten ein sehr heterogenes Bild zu sehen. Zwischen den Unternehmen gäbe es deutliche Unterschiede bei den maximal erfahrbaren Rabatten. Einige Gesellschaften bieten Neukunden Startboni von bis zu zehn Prozent an, um einen „noch größeren Anreiz“ für den Abschluss zu liefern.
Zur Ermittlung der jeweiligen Scores des Fahrers, der letztendlich über die Höhe des Rabattes entscheidet, greifen die Gesellschaften auf Algorithmen zurück. „Allerdings werden Informationen hierüber nur punktuell veröffentlicht“, moniert Hr. von Eicken. „So konnten wir im Zuge der Untersuchung nicht ermitteln, wie lange es dauert, bis der Kunde in die Rabattierung gelangt.“ Der Vorwurf der Intransparenz ist an dieser Stelle nicht neu, HUK-Vorstand Jörg Rheinländer hat ihn bereits im letzten Jahr für sein Unternehmen zurückgewiesen, doch von Kundenseite gibt es immer wieder Beschwerden in diese Richtung gegenüber den Anbietern.
War das ein Fahrfehler?
Den Versicherern sollte allerdings zugutegehalten werden, dass die Bewertung eines Fahrstils keine triviale Aufgabe ist. Schließlich ist die Bewertung eines Fahrmanövers immer situationsabhängig, eine Vollbremsung kann das Anzeichen einer unvorsichtigen Fahrweise sein, aber auch zur Unfallverhütung beitragen. Wie Fahrfehler bewertet werden, ist von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich.
Bei der HUK haben laut Assekurata einzelne Fahrfehler oder Ereignisse, wie zum Beispiel ein abruptes Bremsen in einer Gefahrensituation, keinen entscheidenden Einfluss auf den Score. Auch die Tatsache, ob kurzzeitig ein anderer Fahrer mit besonders vorausschauendem oder riskantem Fahrstil fährt, soll „keine große“ Rolle spielen. Vielmehr werden Rabatte erzielt, wenn die Fahrten in Summe umsichtig erfolgt sind.
Die Einstufung der Fahrer ist ein Problem für jeden Versicherer, in ihrer Bachelor-Arbeit hat Annika Ziegler ein Modell vorgestellt, das auf Heatmaps basiert und von den Unternehmen direkt implementiert werden könnte.
Die Allianz möchte die Fahrtbewertung ebenfalls möglichst realitätsgetreu ermitteln. Beispielsweise ist in der Telematik-App ihres Tarifs BonusDrive Kartenmaterial hinterlegt, so dass auch Tunnel erkannt werden. Darüber hinaus wird die Fahrt auch ohne GPS-Signal weiter aufgezeichnet. Kleinere Ungenauigkeiten will das Unternehmen durch Interpolation ausgleichen.
Corona und Telematik
Von allen Versicherern müssen die besonderen Gegebenheiten in der jetzigen Coronakrise einberechnet werden. Momentan wird wenig gefahren, was natürlich Einfluss auf den Fahrstil und somit die Daten hat. Bei geringem Verkehr kommt es weniger oft zu unfallträchtigen Situationen, die Versicherer haben bereits bestätigt, dass die momentane Verkehrslage das Unfallgeschehen senken wird.
Die Kunden werden von der niedrigeren Schadenerwartung allerdings erst verzögert profitieren, glaubt Onnen Siems, Geschäftsführer der aktuariellen Beratungsgesellschaft Meyerthole Siems Kohlruss: „Ich erwarte keine großen Prämienrückgang in Kraftfahrt für 2021. Die Typklassenanpassung ist träge, da die nächste Typklasseneinstufung im Oktober 2020 aus dem gleitenden Schadenmittel der letzten drei Jahre gespeist wird.“ In der Flottenversicherung werde es schneller gehen, erklärt der Experte.
Unterschiedliche Rabatte
Bei den Rabattformen im Bereich Telematik greift der Hauptteil der Versicherer auf ein Stufenmodell zurück, sodass der mögliche Rabatt bei Über- beziehungsweise Unterschreiten entsprechender Schwellenwerte an- oder absteigt. Die HUK-Gesellschaften und die VHV stellen hier eine Ausnahme dar. Ihre Modelle ähneln eher einer Kurvenverteilung, erklärt Assekurata. Dies habe den Vorteil einer relativen Gleichverteilung der Rabatte. So profitiert der Kunde mit jedem Scorepunkt an einer prozentualen Beteiligung und läuft nicht Gefahr, bei einem einzelnen negativen Fahrverhalten aus einer Rabattstufe zu fallen.
Die Kunden der HUK-Gesellschaften kommen laut Assekurata bereits „besonders früh“ in den Genuss eines Rabattes. Beim Telematik-Tarif des Generali-Konzerns liegt die Rabattschwelle hingegen am höchsten. Auch die zeitliche Rabattgewährung ist unterschiedlich. Während einige Unternehmen den Rabatt an den Kunden auszahlen, verrechnen beispielsweise die VHV, HUK und Cosmos diesen mit dem Folgebeitrag des nächsten Jahres.“ Ob das jetzt ein gutes Mittel zur Kundenbindung oder Wechselwillige benachteiligt, liegt im Auge des Betrachters.
Nicht vergessen werden darf, dass die Telematik als Produkt keineswegs unumstritten ist. Marco Morawetz, Head of Consulting bei General Reinsurance, hat seine Zweifel an dem Modell. Die Versicherer hätten auf dem umkämpften Markt nichts zu verschenken, erklärt er im Videointerview mit VWheuteTV. Dem entgegengesetzt ist Fred Wagner, Vorstand des Instituts für Versicherungslehre an der Universität Leipzig, vom Erfolg des Modells überzeugt. Er debattierte über das Thema leidenschaftlich mit dem bereits genannten Jörg Rheinländer von der HUK.
Eine weitere offene Frage bei der Telematik ist, wer über die gesammelten Daten verfügen kann. Sind es die Autobauer, die Versicherer oder eine Art Treuhänder, der die Ansprüche gegeneinander abwägt; mittlerweile hat sich sogar das Bundeskartellamt in die Debatte eingeschaltet. Ob sich die Telematik am Ende hierzulande durchsetzen wird, ist schwer zu sagen, vielleicht ist der Deutsche am Ende gar kein Italiener.
Entscheidet am Ende die Qualität des Tarifs über die Kundenakzeptanz, haben HUK, Allianz und VHV laut Assekurata jedenfalls die besten Karten.