Maximilian Volz, VWheute, vom 27. Mai 2020
In der Diskussionen um Zahlungen aus der Betriebsschließungsversicherung (BSV) gehen die Meinungen in Deutschland, aber auch international, weit auseinander. Während Gastronomen ihre Forderungen auf dem juristischen Weg durchsetzen wollen, verweisen Versicherer auf ihre Bedingungswerke. Andere wiederum setzen auf Kulanz, wie zuletzt die französische Axa oder die Schweizer Zurich. Das lässt aufhorchen. Und doch bleibt das Thema ein Problemfall.
Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie mussten zahlreiche Restaurants und Hotels sowohl in Deutschland als auch im benachbarten europäischen Ausland ihre Pforten aufgrund behördlicher Anordnung schließen. Wer allerdings im Rahmen einer Betriebsschließungsversicherung (BSV) nun auf entsprechende Ausgleichszahlungen gehofft hat, sah sich getäuscht.
„Ich nehme mal das Thema Betriebsschließungen, grundsätzlich. Wenn in einem solchen Zusammenhang die Bundesregierung oder eine Regierung entscheidet, systematisch ganze Wirtschaftszweige, sogar die Gesamtwirtschaft zu schließen, dann ist das ein nicht versicherbarer Fall.“
Oliver Bäte, Vorstandsvorsitzender der Allianz SE
Allianz-Konzernchef Oliver Bäte brachte jüngst die Haltung der Versicherungsbranche in einem Interview mit dem Nachrichtensender NTV auf den Punkt: „Wenn in einem solchen Zusammenhang die Bundesregierung oder eine Regierung entscheidet, systematisch ganze Wirtschaftszweige, sogar die Gesamtwirtschaft zu schließen, dann ist das ein nicht versicherbarer Fall.“ Zudem übte er deutliche Kritik an den Kreditvergabeprozessen für die Gastronomie: Diese seien „zu langsam und zu risiko-avers“. Außerdem zeigte er sich verwundert darüber, dass „wir uns schwerer tun in Deutschland, quasi unseren Gastwirten zu helfen, aber viele viele Milliarden nach Griechenland und andere Länder überweisen“.
BSV nicht für Pandemiefall gedacht
Unterstützung erhielt Bäte derweil auch von Ulrich Leitermann, Vorstandschef des Dortmunder Versicherers Signal Iduna. „Es gibt unterschiedliche Versicherungsbedingungen zur Betriebsschließungsversicherung. Man muss fairerweise sagen: Die Betriebsschließungsversicherung ist nicht für einen Pandemiefall gedacht. Sie ist eher gedacht für Ereignisse wie etwa Salmonellen- oder Norovirenbefall. Also zum Beispiel für Betriebe des Lebensmittelhandwerks, Hotel- und Gastronomiebetriebe oder Krankenhäuser, die ein Problem damit haben und deren Betrieb nach Einzelverfügung für eine relativ kurze Zeit geschlossen und nach der Reinigung wieder geöffnet wird“.
„Wir reden über einige Tage oder Wochen. So ist die Versicherung auch gestrickt, es gibt eine Höchstentschädigungssumme und es gibt eine Befristung auf maximal 30 Tage. Das zeigt ja schon, dass das für einen Pandemiefall nicht vorgesehen ist“, konstatierte Leitermann Anfang Mai gegenüber der Deutschen Handwerks-Zeitung.
GDV-Präsident Wolfgang Weiler rechnete unlängst im Exklusiv-Interview mit VWheute bislang mit überschaubaren Schäden für die Versicherungsbranche: „Die Folgen lassen sich noch nicht genau abschätzen. Die direkten, also versicherten Schäden halten sich in Grenzen: Es gibt wenige Produkte, bei denen das Pandemie-Risiko mit eingeschlossen ist.“
Dennoch beteiligen sich viele andere Versicherungskonzerne am sogenannten bayerischen Kompromiss für die betroffenen Gastronomen. So sieht eine gemeinsame Empfehlung vor, dass die Versicherer zwischen zehn und 15 Prozent der bei Betriebsschließungen jeweils vereinbarten Tagessätze übernehmen und an die Gaststätten und Hotels auszahlen.
Nach Angaben des bayerischen Wirtschaftsministeriums haben weitere Unternehmen bereits ihre Unterstützung signalisiert. Die Zahlung der Versicherer soll dabei nicht an die staatlichen Leistungen angerechnet werden. Laut Berechnungen der aktuariellen Beratungsgesellschaft Meyerthole Siems Kohlruss (MSK) dürfte allein „der Kompromiss mit DEHOGA Bayern die Branche mindestens 300 Mio. Euro kosten“, schätzt Onnen Siems, MSK-Mitgründer und Geschäftsführer des Unternehmens.
Allerdings sorgt der Deal für Kritik. So kritisieren die Grünen im bayerischen Landtag den „Kuhhandel“ und wollen die getroffenen Vereinbarungen zwischen Versicherern und Wirten zu Auszahlungen neu verhandeln. Die Grünen bemängeln dabei vor allem, dass einige Behörden die Anträge von Gaststätten für Kurzarbeitergeld derzeit mit Verweis auf die Versicherungsprämien ablehnen würden. Zudem müssten die Gaststätten für die Auszahlung der Gelder im Gegenzug zusichern, später auf rechtlichen Schritte gegenüber den Versicherungsunternehmen zu verzichten, lautet ein weiterer Kritikpunkt der Grünen.
Ein Gastronom aus Bochum hat unterdessen die Allianz auf Auszahlung aus der BSV verklagt. Wie die Wirtschaftswoche berichtet, musste der Besitzer der Sportsbar Three Sixty in Bochum im Rahmen der behördlichen Anordungen im Zuge der Corona-Pandemie schließen. Für diese wie auch seine sechs anderen Gastronomie- und Hotelbetriebe im Ruhrpott hatte er bereits 2007 eine Betriebsschließungsversicherung bei der Allianz abgeschlossen.
Diese weigerte sich allerdings – wie viele andere Versicherer – die Regulierung. Der Versicherer begründet dies auf seiner Website damit, dass COVID-19 ein neuer Krankheitserreger sei, „der nicht unter die versicherten meldepflichtigen Krankheiten der Betriebsschließungsversicherung fällt“. Außerdem sei die Schließung seiner Betriebe aus „generalpräventiven Gründen“ erfolgt und „nicht, weil von Ihrem konkreten Betrieb eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit anderer ausgeht“, zitiert das Blatt den Versicherer weiter. Seine Erfolgschancen stehen zumindest nicht allzu schlecht.
Wie entscheiden die deutschen Richter im BSV-Streit?
Ein aktuelles Urteil des Landgerichts Mannheim vom 29. April 2020 (Az.: 11 O 66/20) lässt die betroffenen Gastronomen und Hoteliers jedenfalls hoffen: Konkret klagte eine Betreiberin von drei Hotels auf Zahlung aus den bestehenden Betriebsschließungsversicherungen. Das Gericht entschied im Ergebnis vorläufig gegen die Klägerin, weil die Anspruchshöhe nicht hinreichend dargelegt werden konnte. Grundsätzlich würde ihr jedoch ein Anspruch auf die vereinbarte Versicherungsleistung zustehen.
Dabei stellten die Richter klar, dass auch Schließungsanordnungen per Rechtsverordnung oder Allgemeinverfügung „Betriebsschließungen“ im Sinne der Versicherungsbedingungen darstellen würden. Dies würde sich, so das Gericht, aus dem Sinn und Zweck der Betriebsschließungsversicherung ergeben. „Der Sinn und Zweck der Regelung, Betriebsunterbrechungen durch behördliche Maßnahmen aufgrund des IfSG abzufedern, spricht dafür, derartige faktischen Schließungen unter diese Klausel zu subsumieren“.
Schweiz: Pandemie oder Epidemie?
In der benachbarten Schweiz dreht sich der Streit indes vielmehr um Begrifflichkeiten. So argumentieren einige Versicherer, unter anderem die Helvetia, gegen eine Zahlung, da die Versicherten eine Epidemie-Deckung hätten, es sich bei Corona aber um eine Pandemie handle. „Helvetia lehnt aufgrund eines klaren Ausschlusses in der Epidemie-Versicherung die Pandemie-Deckung ab und hält – bestätigt durch ein Rechtsgutachten – an dieser Position fest“, schrieb das Unternehmen kürzlich.
Der Luzerner Rechtsprofessor Walter Fellmann kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass der Begriff Pandemie nicht klar definiert ist. Auf nationaler Ebene sei eine Pandemie immer auch eine Epidemie, der Bundesrat habe daher nach dem Epidemiengesetz (EpG) gehandelt. Entscheiden müssen nun ebenfalls die Gerichte.
„In der Schweiz erhalten über 90 Prozent der bei Zurich versicherten Gastrobetriebe mit einer Epidemie-Versicherung die volle Pandemie-Deckung. Die anderen Betriebe erhalten Kulanzzahlungen aus dem Zurich-Solidaritätsfonds.“
Mario Greco, Vorstandsvorsitzender der Zurich
Die Zurich setzt indes ungeachtet aller juristischen Feinheiten auf Kulanz und will den betroffenen Unternehmen mit einer entsprechenden Police die volle Deckung zahlen. Bei der Prämienzahlung will der Versicherungsmanager den betroffenen Unternehmen entgegenkommen.
„Falls nötig, geben wir unseren Kunden mehr Zeit. Es gibt Rabatte und andere Vergünstigungen. In der Schweiz gewähren wir meist einen Zahlungsaufschub, auch für Mieter von Immobilien, die der Zurich gehören. Zudem versenden wir keine Mahnungen und verzichten auf Betreibungen“, betont Greco im Interview mit der Schweizer Zeitung Blick.
Axa unterliegt vor Gericht und will zahlen
In Frankreich hingegen hat die Axa bereits eine herbe juristische Niederlage erlitten. Ein Handelsgericht sprach dem Betreiber von vier Restaurants in Paris Entschädigungen für Umsatzausfälle für zwei Monate zu. Der Gastronom Stephane Manigold hatte Axa verklagt, nachdem die französische Regierung Bars und Restaurants Mitte März geschlossen hatte, um die Ausbreitung des Coronavirus zu bremsen, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters.
Das Urteil könnte eine Klagewelle gegen diejenigen Versicherungskonzerne nach sich ziehen, die die Einnahmeausfälle der Gastronomie in der Coronakrise nicht decken wollen. Die Axa hat unterdessen reagiert und will nun weitere 500 Mio. Euro bereitstelle, um die Ansprüche kleinerer Betriebe zu kompensieren.
„Diese Verträge machen weniger als zehn Prozent aller Verträge mit Restaurantbesitzern aus, und ich bin zuversichtlich, dass wir eine Lösung finden werden“.
Thomas Buberl, Vorstandsvorsitzender der Axa
Britische Finanzaufsicht stützt Versicherer – Trump kontert Versicherer
In Großbritannien ist die Position der dortigen Finanzaufsicht eindeutig: In einem offenen Brief an die „Insurance Chief Executives“ hat die FCA aktuell erklärt, dass die meisten Klagenden „nicht den richtigen“ Schutz besitzen, um für eine Entschädigung infrage zu kommen.
Die Behörde verlässt sich bei ihrer Aussage auf die Angaben der Versicherer. „Basierend auf unseren Gesprächen mit der Branche ist unsere Erkenntnis, dass die meisten Absicherungen keinen Pandemieschutz enthalten und daher nicht für Auszahlungen wegen Covid-19 in Frage kommen“, erklärt FCA’s Interim Chief Executive, Christopher Woolard.
In den Vereinigten Staaten schaltete sich US-Präsident Donald Trump gar höchstpersönlich in die Haftungsdebatte ein. So würde er es „gerne sehen“, wenn die Versicherer bezahlen würden, „wenn sie es müssten“. Es gäbe in einigen Fällen vertragliche Ausschlüsse, aber oft „sehe er diese nicht“.
Kommen die Gäste mit den Lockerungen wieder?
Ob die Gastronomen und Hoteliers im Zuge Corona-Lockerungen wieder mit mehr Gästen rechnen können, bleibt jedenfalls abzuwarten. So würden derzeit etwa 30 Prozent der Deutschen auch weiterhin Restaurants und Cafés aus Angst vor einer Infektion weiter meiden.
Der Trendforscher Matthias Horx rechnet jedenfalls mit einem breiten Restaurant-Sterben und einem nachhaltigen Trendwandel in der Gastronomie. Gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung rechnet der Gründer des Frankfurter Zukunftsinstituts damit, dass „alle generell schwachen Konzepte, die sowieso Schwierigkeiten hatten sich zu finanzieren, jetzt in dieser Krise sterben werden“.
Zwar werde es danach vielleicht 20 bis 30 Prozent weniger Restaurants geben.“ So gesehen, könne man die Krise im Bereich Gastronomie als ‚ökonomische Evolutionsbeschleunigung‘ sehen. Daher gelte: „Wir werden am Ende besser durchdachte Konzepte, bessere Logistik und angepasste Angebote haben.“