Anne Blauth, Florian Bohl und Onnen Siems, VWheute, vom 4. Januar 2022
Wenn die CO2-Emissionen unverändert hoch bleiben, drohen verheerende Folgen, prognostizieren Klimamodelle. Schon heute aktiv zu werden, haben EU-Parlament und -Rat den Unternehmen verordnet – durch die Taxonomie-Verordnung, die nun in Kraft tritt. Die verlangten Nachweise zur Nachhaltigkeit werden in der Assekuranz das Pricing, den Vertrieb und die Kapitalanlagen beeinflussen. Die Umsetzung der Vorgaben wird im neuen Jahr ein zentrales Aufgabenfeld der Versicherungsbranche. Eine Kurzanalyse aus Aktuarssicht.
Zunächst richten sich die neuen Regelungen an Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden. Doch auch kleinere und mittlere Versicherer werden früher oder später aktiv werden müssen: Sobald sie Produkte anbieten, die als „nachhaltig“ bezeichnet werden – wofür eine wachsende Nachfrage besteht –, unterliegen auch sie hierbei einer entsprechenden Nachweispflicht. Neue Regelungen abseits der Taxonomie-Verordnung gelten ab 2022 hingegen größenunabhängig für alle Versicherer, etwa die Aufnahme von Nachhaltigkeitsrisiken in den Bericht der Versicherungsmathematischen Funktion.
Nachhaltigkeit schlägt sich in den Sparten unterschiedlich nieder. In der Schaden- und Unfallversicherung, besonders in der Gebäudeversicherung, ist mit deutlich spürbaren Effekten durch den Klimawandel zu rechnen, wie zuletzt die Zerstörungen in Folge des Tiefs „Bernd“ drastisch gezeigt haben. Dadurch, dass sich in Sach Tarife in der Regel jährlich anpassen lassen, besteht die Möglichkeit, nachzuschärfen.
Diese Option besteht jedoch nur, falls die Versicherungsverträge mit einer Beitragsanpassungsklausel ausgestattet sind. Andernfalls bleibt für den Versicherer nur die Änderungskündigung. Auch die Lebensversicherung ist unmittelbar durch den Klimawandel betroffen, etwa durch Hitzeperioden, wobei sich die Effekte – im Unterschied zur Sachversicherung – eher langfristig bemerkbar machen. Doch eine Einschätzung, wie sich der Klimawandel auswirken wird, entwickelt sich in allen Bereichen und Sparten immer mehr zu einer zentralen Orientierung.
Nach dem Willen der EU sind Unternehmen ausdrücklich aufgefordert, eine Führungsrolle in der Modellierung und Bepreisung von Klimamodellen vorzunehmen. Eine Herkulesaufgabe für viele Versicherer, besonders für Mittelständler.
In den Folgejahren wird auch nachzuweisen sein, inwiefern Kapitalanlagen und versicherungstechnische Aktivitäten die Bezeichnung „nachhaltig“ verdienen. Die ersten delegierten Verordnungen werden hier schon konkreter – sie formulieren zum Beispiel den Ausschluss der Gewinnung, der Lagerung, des Transports oder der Herstellung fossiler Brennstoffe. Weitere Konkretisierungen stehen noch aus.
Doch das Thema Nachhaltigkeit kommt nicht nur aus Brüssel und Straßburg, sondern spiegelt einen breiten gesellschaftlichen Diskurs wider. Ein Wandel der Wertvorstellungen, der sich bei Verbraucher:innen vollzieht, kann auch die Produktgestaltung beeinflussen. Nachhaltigkeit wird in immer mehr Lebensbereichen eingefordert. Versicherung ist längst einer von ihnen.
Nicht nur aus Gründen der Nachhaltigkeit erwarten die Kund:innen auch weitere Fortschritte in der Digitalisierung ihrer Versicherungsprodukte und der Abschlussstrecken. Durch die Folgeerscheinungen der Corona-Pandemie haben diese Erwartungen an digitale Produkte und die Digitalisierung im Allgemeinen einen weiteren Schub bekommen. Dies stellt für die Versicherer eine Gefahr und eine Chance zugleich dar, vor allem entstehen aber auch neue Aufgabenfelder. So wird auch das Thema Cyber-Gefahren in 2022 weiterhin an Relevanz zunehmen. Hier gilt es, die eigene Exponierung gegen Cyber-Angriffe zu bewerten und zu verringern, aber auch entsprechende Auswirkungen in den aktuellen Versicherungsprodukten zu bewerten und eventuell neue Cyber-Tarife oder Leistungsbausteine zu entwickeln.