Die Coronakrise macht auch vor der Versicherungsbranche keinen Halt. Einerseits sind die Vermögenswerte bzw. die Kapitalanlagen der Versicherer betroffen. Auf der anderen Seite sind auch Effekte auf die Versicherungstechnik bzw. das gezeichnete Geschäft zu erwarten und bereits zu beobachten. Die aktuarielle Beratungsgesellschaft Meyerthole Siems Kohlruss ist in die Bewertung dieses „Stress-Szenarios“ bei einer Vielzahl von Kompositversicherern eingebunden und möchte mit dieser Veröffentlichung die gesamte Versicherungsbranche teilhaben lassen.

Am Markt spricht man im Zusammenhang mit Corona von der neuen Finanzkrise. Sind die Kompositversicherer von der Talfahrt der Kapitalmärkte betroffen?

Von der Talfahrt der Aktienmärkte werden die deutschen Schaden- und Unfallversicherer nur eingeschränkt betroffen sein, weil Aktien lediglich 1% ihrer Kapitalanlagen ausmachen. „Geht man allerdings davon aus, dass auch die Anleihen in der aktuellen Krise 10% ihrer Kurse eingebüßt haben, so wird die Solvenzquote (SCR-Bedeckung) überschlägig marktweit um ca. 20 Prozentpunkte sinken“, sagt Dr. Andreas Meyerthole, Mitgründer und Geschäftsführer der aktuariellen Beratungsgesellschaft Meyerthole Siems Kohlruss (MSK) aus Köln.

„Wie immer im Leben sind das lediglich Durchschnittswerte. Unternehmen, die härter am Wind segeln und in deutlich risikoreichere Klassen investieren, können deutlich stärker betroffen sein und die anderen eben nicht“, so Dr. Andreas Meyerthole weiter.

Neben den Vermögenswerten sind auch Auswirkungen auf die Versicherungstechnik zu erwarten. Welche Sparten sind betroffen?

Die betroffenen Sparten sind in den letzten Tagen intensiv diskutiert worden. In der Warenkreditversicherung und der Betriebsschließungsversicherung hat die Branche in den letzten Tagen Kompromisse mit Politik und Wirtschaft vereinbart. „Doch allein der Kompromiss mit DEHOGA Bayern dürfte die Branche nach MSK-Berechnungen mindestens 300 Mio. Euro kosten“, schätzt Onnen Siems, MSK-Mitgründer und Geschäftsführer des Unternehmens.

Was die Reisepreissicherung angeht, so bleibt zu hoffen, dass – anders als bei der Insolvenz von Thomas Cook – sich dieses Mal die Insolvenzen auf viele Reisepreisabsicherer verteilen, so dass die Höchsthaftungssumme von 110 Mio. Euro im Jahr 2020 mehrfach zur Verfügung steht.

Nach Darlehenswiderruf und Dieselgate steht die Rechtsschutzbranche vor ihrem dritten Kumulereignis der letzten Jahre und es wird wohl das Schwerste werden. „Nach einer ersten Schätzung von Meyerthole Siems Kohlruss können bis zu 500 Mio. Euro an Schäden auf die Branche zukommen“, erläutert Thomas Budzyn, Projektleiter des Rechtsschutz-Datenpools mit über 30% Marktanteil.

Aus Krisen gehen auch Gewinner hervor: Welche Sparten profitieren?

Gerade die Privatkundensparten werden durch die eingeschränkte Mobilität weniger Schadenfälle zu verzeichnen haben. Das betrifft die Private Haftpflichtversicherung ebenso wie die Unfallversicherung und die Gefahr Einbruch in der Verbundenen Hausratversicherung. Besonders spürbar sollte der Rückgang allerdings in der Kfz-Versicherung werden.

So sind die Kfz-Unfälle seit dem Shutdown um bis zu 50% rückläufig. „Bis Ende April kann die Branche so voraussichtlich mehr als 1 Mrd. Euro an Schadenaufwendungen einsparen“, sagt der Versicherungsmathematiker Onnen Siems.

Ist ein Einschreiten der Politik zu erwarten?

Wie in anderen Branchen wird auch die Assekuranz die Krise nicht ohne massive Unterstützung des Staates bewältigen können. Jüngste Beispiele sind Kreditversicherer, denen der Bund 30 Mrd. Euro Rückdeckung gibt. „Der ‚bayerische Weg‘ für die Betriebsschließungsversicherung wird sicher bundesweit Schule machen und die Versicherungswirtschaft aufgrund des öffentlichen und politischen Drucks weiter belasten“, sagt MSK-Geschäftsführer Onnen Siems.

Was kommt nach Corona?

„Die Industrie wird von der Versicherungswirtschaft lernen und seine Risiken besser diversifizieren. Insbesondere Lieferketten dürfen nicht nur nach Kosten, sondern müssen zukünftig mehr nach dem Ausfallrisiko bewertet werden. Globalisierung ist im Grundsatz nicht schlecht – aber die ‚single point of failure‘-Risiken und deren Vernetzung müssen mit professionellem (und aktuariellem) Know-how bewertet und gemanagt werden“, kommentiert der Versicherungsmathematiker Onnen Siems.

Wie schon nach dem Hochwasser 2002 und auch nach der Pleite von Thomas Cook werden die Rufe nach einer oder nach der richtigen Pflichtversicherung laut.

„Die Antwort der Branche wird lauten, dass Pandemierisiken nicht versicherbar sind. Aber so einfach sollte man sich es sich nicht machen und stattdessen nach Alternativen suchen“, sagt der Aktuar Dr. Andreas Meyerthole.

Die Versicherer könnten auch den Kumul in ihren Versicherungsbedingungen limitieren und bei Überschreitung des Limits würde es zu einem Verteilungsverfahren kommen, falls deutsche oder europäische Schutzschirme nicht einspringen.

„Man könnte den Versicherern erlauben, Mehrjahresverträge mit Beitragsanpassungsklausel abzuschließen, die ihren Niederschlag in der Prämienrückstellung unter Solvency II finden würden“, meint Dr. Andreas Meyerthole. „Und schließlich könnten analog zur Großrisikenrückstellung für Pharmarisiken die Versicherer Teile der Beiträge steuerfrei zurückstellen, um für den Fall der Fälle vorzusorgen“.

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Über

Meyerthole Siems Kohlruss (MSK) wurde 1998 in Köln als erste deutsche aktuarielle Beratungsgesellschaft gegründet und begleitet Versicherungsunternehmen bei strategischen Entscheidungen und operativen Prozessen. Die Tätigkeitsschwerpunkte liegen in Datenpools, Tarifierung, Reservebewertung, Rückversicherung und Solvency II. Seit 2011 ist das Informationssicherheitsmanagementsystem von MSK nach ISO 27001 zertifiziert.