Tobias Daniel, VW-heute, vom 11. Januar 2018
„Same procedure as every year“ könnte man meinen. Das Jahr 2018 begann fast so, wie das Jahr 2017 aufgehört hat, nämlich stürmisch und nass. Während Sturmtief „Burglind” zum Jahresbeginn die halbe Republik durcheinander wirbelte, sorgte die Schneeschmelze und der Dauerregen in der ersten Januar-Woche für neue Hochwasser an Deutschlands Flüssen. Allerdings scheinen die aktuellen Schutzmaßnahmen für deutlich weniger Schäden zu sorgen.
„Vieles spricht dafür, dass die getroffenen Hochwasserschutzmaßnahmen der letzten Jahrzehnte greifen. Kleinere bis mittlere Hochwasser an den großen Flussläufen haben ihren Schrecken verloren. Inwieweit sie auch bei einem Jahrhunderthochwasser zumindest schadenmindernd wirken, muss die Zukunft zeigen“, glaubt Onnen Siems, Versicherungsmathematiker und Geschäftsführer der aktuariellen Beratungsgesellschaft Meyerthole Siems Kohlruss.
Demnach würden die Schätzungen der Hochwasserzentrale Köln zeigenein deutlich verringertes Schadenpotenzial durch den Hochwasserschutz zeigen. So verringere sich der geschätzte Schaden bei einem Pegel von 11,30 Meter deutlich 1,6 Mrd. Euro auf 0,1 Mrd. Euro. Erst ab einem Wasserstand von 12,50 Meter würden die Maßnahmen keine Entlastung mehr bringen und sich zu über drei Mrd. Euro aufsummieren.
„Überschwemmungsschäden sind teuer und können durch Hochwasserschutz nicht gänzlich vermieden werden. Ferner ist zu beachten, dass in der Elementarschadenversicherung nicht nur Überschwemmungsschäden versichert sind, sondern auch Schäden durch Starkregen und Erdbeben – beides birgt ebenfalls ein beträchtliches Schadenpotenzial“, erläutert Siems.
Dennoch hatte sich insbesondere der Starkregen auch beim Sturmtief „Burglind” deutlich bemerkbar gemacht, konstatieren die Aktuare weiter. „Sturm ‘Burglind’ verursachte als erster Sturm des neuen Jahres einen versicherten Schaden von 200 Mio. Euro in Deutschland”, heißt es bei MSK. „Insbesondere der starke Niederschlag wirkt sich schadenerhöhend aus, sowohl bei durch den Wind geschädigten Gebäuden, als auch durch die aufgeweichten Böden bei Bäumen. Die Regenmengen und das Tauwetter aufgrund des Temperaturanstiegs verschärfen zudem die Hochwassersituation“, erläutert MSK-Geschäftsführer Siems.
Experten rechnen mit Zunahme extremer Wetterereignisse
„Solche extremen Wetterlagen mit stärksten, aber lokal eingeschränkten Regenfällen sind in Deutschland nichts Außergewöhnliches“, betont Olaf Burghoff, Leiter der Sachstatistik beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). „Aber wir bemerken schon, dass wir in kürzeren Abständen sehr schadenreiche Jahre haben“, ergänzt eine Sprecherin der SV Sparkassenversicherung gegenüber der Börsen-Zeitung.
So scheinen die weiteren Aussichten alles andere als rosig: Infolge des Klimwawandels dürften extreme Wetterereignisse mit Stark- und Dauerregen hierzulande wohl noch zunehmen, was in 20 bis 30 Jahren auch statistisch nachzuweisen sei. „Erdgeschichtlich sind das natürlich ganz rasante Veränderungen, aber für uns passiert das über einen Zeitraum von Jahrzehnten alles sehr langsam. Die Prognosen der Versicherer besagen, dass die Schadenzunahme pro Jahr in etwa mit der Inflation vergleichbar ist“, erläutert Tim Peters, Meteorologe bei der Provinzial Nordwest.
Schadenjahr 2017 war in Deutschland unterdurchschnittlich
Auch wenn das Jahr 2017 bereits in vielen Regionen Deutschlands extrem nass war, liegt die Schadenbilanz der deutschen Versicherer jedoch unter dem bisherigen Jahresdurchschnitt. Nach vorläufigen Schätzungen des GDV verursachten Naturereignisse wie Stürme, Hagel und Starkregen in Deutschland im vergangenen Jahr versicherte Sachschäden an Häusern, Hausrat, Gewerbe- und Industriebetrieben über zwei Mrd. Euro.
Dabei entfallen nach Angaben des Branchenverbandes allein auf die Unwetterserie zwischen Ende Juni und Anfang Juli mit „Paul“ und „Rasmund“ Sachschäden von rund 300 Mio. Euro. Die Starkregenschäden in Berlin und Brandenburg schlagen mit 60 Mio. Euro zu Buche. Dabei seien allein Ende Juni 2017 in Berlin und Brandenburg innerhalb von 24 Stunden über 200 Liter Regen auf einen Quadratmeter gefallen. Zum Vergleich: Deutschlandweit sind es im Schnitt im ganzen Jahr knapp 800 Liter pro Quadratmeter. Und dennoch: „Regionale Unwetter mit sintflutartigen Regenfällen innerhalb kürzester Zeit sind inzwischen nichts Ungewöhnliches mehr“, konstatierte GDV-Präsident Wolfgang Weiler.
Naturkatastrophen kommen die Versicherer teuer zu stehen
International zeichnet sich hingegen eine deutlich andere Lage ab: Während die Swiss Re die weltweiten Schäden durch Naturkatastrophen im vergangenen Jahr auf rund 136 Mrd. Euro beziffert, kam die Munich Re vor wenigen Tagen nun zu einer ähnlichen Schätzung. Voraussichtlich rund 135 Mrd. US-Dollar müssen Versicherer demnach für die Hurrikane „Harvey”, „Irma” und „Maria” (HIM) und weitere Naturkatastrophen wie etwa ein schweres Erdbeben in Mexiko aufbringen, mehr als je zuvor.
Die Gesamtschäden – also einschließlich der nicht versicherten Schäden – beziffert der Münchener Rückversicherer auf 330 Mrd. US-Dollar, die zweithöchste jemals registrierte Summe für Naturkatastrophen insgesamt. Zudem verzeichnete die Munich Re im Jahr 2017 die teuerste Hurrikansaison in der Geschichte mit einem Gesamtschaden von 215 Mrd. US-Dollar. Die meisten Opfer habe hingegen ein extremer Monsun in Südostasien mit mehr als 2.700 Toten gefordert.
In Europa verzeichnete der Rückversicherer außerdem Milliardenschäden in der Landwirtschaft durch ungewöhnlich tiefe Temperaturen im April verursachten in Europa. Demnach fiel der Ernteertrag bei bestimmten Früchten je nach Region um bis zur Hälfte niedriger aus als sonst. Die Schäden durch den Spätfrost beziffert die Munich Re demnach auf rund 3,6 Mrd. US-Dollar (3,3 Mrd. Euro). Davon seien wegen der geringen Versicherungsdichte in der Landwirtschaft nur rund 650 Mio. US-Dollar (rund 600 Mio. Euro) versichert gewesen.
„Der überdurchschnittliche Anteil der weltweiten versicherten Schäden dieses Jahr verdeckt, wie groß die Versicherungslücke in weiten Teilen der Welt noch ist. In Entwicklungsländern sind Katastrophenschäden vielfach fast überhaupt nicht versichert. Und selbst in hoch entwickelten Ländern wie den USA wäre eine stärkere Verbreitung von Versicherung volkswirtschaftlich sehr sinnvoll”, kommentiert Ernst Rauch, Leiter Climate & Public Sector Business Development, bei der Munich Re. „Die extremen Naturkatastrophen des Jahres zeigen die wichtige Rolle von Versicherung, nach schweren Katastrophen die finanziellen Belastungen abzufedern”, ergänzt Vorstand Torsten Jeworrek.