Tobias Daniel, VWheute, vom 20. April 2020

Seit März hält die Corona-Pandemie das Land fest im Griff. Die Zahl der Infizierten und Toten steigt kontinuierlich an und die Wirtschaft stöhnt unter den Beschränkungen, die erst in den kommenden Wochen und Monaten erst allmählich gelockert werden. Bleibt die Frage danach, welche Rolle die Versicherer dabei spielen und welche Kosten auf die Branche zukommen.

„Die Folgen lassen sich noch nicht genau abschätzen. Die direkten, also versicherten Schäden halten sich in Grenzen: Es gibt wenige Produkte, bei denen das Pandemie-Risiko mit eingeschlossen ist. Mittelbar trifft die Corona-Krise aber auch uns sehr: Eine Rezession ist unausweichlich, damit werden es beispielsweise die Kreditversicherer mit mehr Forderungsausfällen zu tun bekommen. Grundsätzlich wirkt sich ein schwächeres Wirtschaftsgeschehen auch immer negativ auf das Neugeschäft aus“, betonte jüngst GDV-Präsident Wolfgang Weiler im Exklusiv-Interview mit VWheute.

Die Folgen durch den globalen Börsencrash hält er hingegen für moderat: „Die Versicherer können wegen der Langfristigkeit ihrer Verpflichtungen ihre Investments halten und müssen sie nicht unter Druck verkaufen. Die Verluste in den Portfolien sollten somit begrenzt bleiben, auch in der absehbaren wirtschaftlichen Schwächephase.“

PKV sieht „gesellschaftspolitische Mitveratwortung“

Konkrete Zahlen zu möglichen Kosten will auch der PKV-Verband auf Anfrage nicht nennen. „Für ein Fazit ist es noch viel zu früh. Vieles hängt weiterhin davon ab, wie weit es gelingt, die Ausbreitung von Covid19 einzudämmen. Die Private Krankenversicherung garantiert nicht nur ihren Versicherten Schutz bei Krankheit und Pflege, sie steht auch zu ihrer gesellschaftspolitischen Mitverantwortung für die medizinische und pflegerische Versorgung in den Zeiten der Krise. Die PKV beteiligt sich entsprechend ihrem Versichertenanteil an den Sofortprogrammen zur Deckung der Mehrkosten der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen“, betont Verbandsdirektor Florian Reuther gegenüber VWheute.

Zudem sei man „in engem Austausch mit der Bundesärztekammer, um rasch und zielgenau Lösungen für die niedergelassenen Ärzte zu finden. Mit der Bundeszahnärztekammer haben wir bereits eine schnelle und unbürokratische Lösung zur Übernahme von Corona-bedingten Mehrkosten für die Praxen abgestimmt. Wir sind auch in enger Abstimmung mit der Ärzteschaft und mit den Psychotherapeuten über die Nutzung von Video-Sprechstunden. Die neuen Möglichkeiten der Telemedizin, die jetzt immer stärker gefragt sind, belegen übrigens einmal mehr die Rolle der PKV als Türöffner für Innovationen. Schon vor Jahren gehörte die PKV zu den Unterstützern der ersten Stunde. Dadurch konnte die Telemedizin in Deutschland Fuß fassen und Strukturen aufbauen, die jetzt auch den gesetzlich Versicherten zu Gute kommt.“

Rückversicherer rechnen mit Kosten in Millionenhöhe
Besonders von der aktuellen Corona-Krise betroffen sind vor allem die Rückversicherer. Ein wesentlicher Grund dürfte die Absage bzw. die Verschiebung von Großveranstaltungen sein: So wurden die Olympischen Spiele von Tokio und die Fußball-Europameisterschaft bereits um ein Jahr auf 2021 verschoben. Das altehrwürdige Tennisturnier von Wimbledon wurde gar ganz abgesagt. Die Zurich als Sponsor des Deutschen Olympiateams vermag die Folgen durch die Verschiebung bislang noch nicht absehen.

„Die Entscheidung, die Olympischen Spiel zu verschieben, ist in Anbetracht der aktuellen weltweiten Corona Lage sicher eine vernünftige Entscheidung, denn es geht um Menschenleben. […] Mit dem DOSB und dem DSM stehen wir aber stets in engem Austausch und gehen davon aus, dass wir in einem gemeinsamen Dialog zu einer guten Lösung finden werden“, betonte eine Sprecherin. Einen Veranstaltungsschutz bietet die Zurich indes nicht auch.

In Deutschland sind Großveranstaltungen nach jüngstem Beschluss der Bundesregierung bis 31. August 2020 untersagt – auch wenn die Politik bislang nicht definiert hat, was konkret darunter zu verstehen sei. Sicher ist, dass bundesweit bekannte Events wie Rock am Ring oder der Hamburger Hafengeburtstag dadurch dem Corona-Virus zum Opfer fallen werden. Auch das Oktoberfest dürfte in diesem Jahr womöglich ausfallen. Die Allianz sieht dies jedenfalls noch sehr gelassen: „Im Rahmen der Veranstaltungsausfallversicherung sind laut Bedingungen Schäden durch ‚Epidemien und Seuchen‘ ausgeschlossen“, so eine Unternehmenssprecherin.

Und die Kosten für die Rückversicherer? Während die Hannover Rück derzeit mit einem zweistelligen Millionenbetrag rechnet, verzeichnete die Munich Re in der Schaden- und Unfallrückversicherung eine hohe Belastung aus Schäden in Zusammenhang mit den Auswirkungen der erheblich verschärften Covid-19 Krise.

„Je stärker sich die Viruswelle ausweitet, desto stärker könnte auch Munich Re betroffen sein“ heißt es im aktuellen Geschäftsbericht des Münchener Konzerns. Die größten Folgen könnte eine Pandemie in der Lebensversicherung haben. Bei hundertausenden Toten könnte dies den Rückversicherer im schlimmsten Fall 1,4 bis 1,5 Mrd. Euro kosten, rechnete Vorstand Torsten Jeworrek bereits bei der Bilanzpressekonferenz im Februar vor. „Praktisch ist das angesichts der geringen Mortalitätsrate aber undenkbar“, betonte er. Ihr Gewinnziel für 2020 über 2,8 Mrd. Euro hat die Munich Re jedenfalls schon kassiert.

Und die Swiss Re: Die Eidgenossen geben sich auf Anfrage von VWheute noch betont zurückhaltend. „Es ist noch zu früh, die Schadenauswirkungen von COVID-19 auf das Geschäft von Swiss Re abzuschätzen. Es ist auch wichtig, sich vor Augen zu halten, dass die Risiken bei grossen Veranstaltungen typischerweise syndiziert werden; das bedeutet, dass die Risiken zwischen mehreren Rück-/versicherern geteilt werden, was die Auswirkungen für jeden Teilnehmenden minimiert“, betont ein Unternehmenssprecher auf Anfrage.

Zudem schreibe die Swiss Re „ein global diversifiziertes Buch im Bereich Ausfallversicherung (Contingency), dieses Buch variiert im Laufe der Zeit, im Allgemeinen macht es aber nur einen relativ kleinen Teil unseres Sachversicherungsgeschäfts aus.“

Die möglichen Auswirkungen der Krise auf die Industrieversicherung sind noch nicht vollständig absehbar. „Prognosen stehen unter dem Vorbehalt, dass Änderungen jederzeit vorgenommen werden können“, berichtet HDI. „Momentan gehen viele Experten, u. a. auch der GDV, davon aus, dass die deutsche Wirtschaft erst im kommenden Jahr wieder auf vollen Touren laufen wird“, heißt es beim Industrieversicherer.

„Natürlich gibt es bei uns auch Schäden infolge der Corona-Krise. Das betrifft z. B. in der Industrieversicherung einige wenige Fälle der Betriebsschließungsversicherung. Betriebsunterbrechung vor dem Hintergrund der Corona-Krise ist in Deutschland und den meisten anderen Ländern der Welt grundsätzlich nicht versichert, da kein vorangegangener Sachschaden vorliegt. Wir rechnen aber mit Schäden im Bereich Spezialrisiken wie Policen zur Deckung von Veranstaltungsausfällen. Insgesamt erwarten wir basierend auf bisherigen Analysen Schäden im zweistelligen Millionen-Euro-Bereich. Diese Krise beschleunigt anderseits die Digitalisierung der Abläufe in der Branche. Das zeichnet sich schon jetzt ab“, prognostiziert die HDI.

Ist Corona schlimmer als ein Atomunfall?

Die Folgen der Covid19-Pandemie dürften jedenfalls auch manch finanzstarken Player an die Grenzen seiner Belastbarkeit bringen. Treffende Worte fand jüngst Allianz-Vorstandschef Oliver Bäte: „Wir haben es mit einer gewaltigen Pandemie zu tun und, bedingt dadurch, mit einem Systemausfall. Das ist vergleichbar mit Katastrophen wie Erdbeben oder der Explosion eines Atomkraftwerks“.

So gebe es für solche Situationen „in vielen Ländern eine Kooperation zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft, weil die Versicherungsbranche solche Systemausfälle nicht beherrschen kann“, betont der Versicherungsmanager gegenüber dem Spiegel. Jüngstes Beispiel ist der Schutzschirm der Bundesregierung und der Kreditversicherer für den Warenverkehr.

Um die Folgen zu begrenzen, verständigten sich am Donnerstag die Bundesregierung und die deutschen Kreditversicherer auf einen weitreichenden Schutzschirm, wobei der Bund für das Jahr 2020 eine Garantie für Entschädigungszahlungen der Kreditversicherer von bis zu 30 Mrd. Euro übernimmt. Die Kreditversicherer übernehmen im Gegenzug Verluste von bis zu 500 Mio. Euro, überlassen 65 Prozent des Prämienaufkommens dem Bund und tragen Ausfallrisiken, die über die Bundesgarantie hinausgehen.

Eine ähnliche Regelung haben die Versicherer auch bei der Betriebsschließungsversicherung für die Gastronomie getroffen. Demnach sehe eine gemeinsame Empfehlung vor, dass die Versicherer zwischen zehn und 15 Prozent der bei Betriebsschließungen jeweils vereinbarten Tagessätze übernehmen und an die Gaststätten und Hotels auszahlen.

Nach Berechnungen der aktuariellen Beratungsgesellschaft Meyerthole Siems Kohlruss (MSK) dürfte allein „der Kompromiss mit DEHOGA Bayern die Branche mindestens 300 Mio. Euro kosten“, schätzt Onnen Siems, MSK-Mitgründer und Geschäftsführer des Unternehmens.

Zudem wird nach Berechnungen der Aktuare auch die Assekuranz die Krise nicht ohne massive Unterstützung des Staates bewältigen können. Jüngste Beispiele sind Kreditversicherer, denen der Bund 30 Mrd. Euro Rückdeckung gibt. „Der ‚bayerische Weg‘ für die Betriebsschließungsversicherung wird sicher bundesweit Schule machen und die Versicherungswirtschaft aufgrund des öffentlichen und politischen Drucks weiter belasten“, sagt MSK-Geschäftsführer Onnen Siems.

Teuer werden könnte es zudem für die Rechtsschutzversicherer – diesen stehe nach dem Darlehenswiderruf und Dieselgate bereits das dritte, zumal schwerste Kumulereignis innerhalb weniger Jahre ins Haus. „Nach einer ersten Schätzung von Meyerthole Siems Kohlruss können bis zu 500 Mio. Euro an Schäden auf die Branche zukommen“, erklärte Thomas Budzyn, Projektleiter des Rechtsschutz-Datenpools mit über 30 Prozent Marktanteil.

Sind die Kfz-Versicherer der große Profiteur von Corona?
Nach Ansicht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG dürften die mittelbar zu erwartenden Auswirkungen, welche sich aus dem veränderten gesellschaftlichen und ökonomischen Umfeld ergeben, die Versicherer ungleich stärker treffen. Deren Erwartungen skizzierten die Experten gegenüber der Versicherungswirtschaft wie folgt:

„Die Lebensversicherung wird durch das verlängerte / bestärkte Niedrigzinsumfeld und den Schock der Kapitalmärkte eine zunehmende Herausforderung hinsichtlich der Solvenz verspüren. Wie in Zeiten der Unsicherheit üblich, werden Stornierungen eher zunehmen, das Neugeschäft hingegen abnehmen. Einzig biometrische Risikoprodukte dürften verstärkt nachgefragt werden. Die Corona-bedingten Auswirkungen auf das Risikoergebnis werden sich nach unserer Einschätzung zwischen Todesfall- und Langlebigkeitsversicherung etwa die Waage halten, abhängig auch vom jeweiligen Portfolio der Unternehmen.

In der Sachversicherung erwarten wir einen (leichten) Rückgang des Neugeschäfts – wo keine neuen Autos produziert und gekauft werden, können diese auch nicht versichert werden. Dasselbe gilt für viele „nice to have“-Produkte und Investitionen, die zumindest vorerst aufgeschoben werden. Im Firmenkundengeschäft ist in bestimmten Branchen (bspw. Gastgewerbe) ebenfalls mit einem Rückgang im Neu- und sogar Bestandsgeschäft zu rechnen, zurückzuführen auf Insolvenzen und Geschäftsaufgaben. Auch das Geschäftsvolumen in Aviation oder der Transportversicherung wird sich aufgrund der veränderten Wirtschaftsstrukturen (zumindest zunächst) reduzieren. Zudem werden sich vermehrt (versicherte) Schadenfälle aus Insolvenzen (bspw. Reiseveranstalter) oder in der Kreditversicherung materialisieren

Wie oben bereits ausgeführt, sind die direkt auf die Corona Pandemie zurückzuführenden Schadenzahlungen (bspw. aus Betriebsunterbrechungen) aufgrund der Versicherungsbedingungen vermutlich überschaubar. Bereits seit Anfang April zeichnet sich jedoch ab, dass in der gesamtpolitischen Gemengelage die Versicherer nicht umhinkommen werden, sich an Solidaritätsfonds oder anderweitigen Instrumenten zur Finanzierung der Folgen der Corona-Krise zu beteiligen.

In der Krankenversicherung hängen die Auswirkungen stark vom Verlauf der Pandemie ab. Den Krankheitskosten der Pandemie steht zunächst eine Reduktion von sonstigen Behandlungskosten entgegen, da viele Eingriffe verschoben werden, oder Patienten die Wartezimmer der Ärzte meiden. Völlig unklar sind die langfristigen Auswirkungen beispielsweise durch mögliche Langzeitschädigungen der betroffenen Patienten.“

Größter Profiteur dürften allerdings die Kfz-Versicherer sein. Meyerthole Siems Kohlruss (MSK) schätzt demnach, dass der verordnete Corona-Shutdown zu deutlich weniger Straßenverkehr führt, sodass die Unfallzahlen „stark sinken“ werden. „Jede Woche wird sich aktuell mit diesem historisch niedrigen Mobilitätsniveau die Schadenquote um 0,5 bis ein Prozent verbessern“, schreiben die Aktuare.

Ähnlich beurteilt auch der Branchenprimus Huk-Coburg die aktuelle Lage auf dem Kfz-Versicherungsmarkt: „Auch, wenn sich das Ausmaß der Reduktionen im Schadenaufwand durch Corona endgültig erst mit Ablauf des Geschäftsjahres 2020 bewerten lässt, wird die Huk-Coburg ihre Mitglieder und Kunden entsprechend ihrer Philosophie an diesem entlastenden Effekt partizipieren lassen. In dieser einmaligen Sondersituation sollen sich Mitglieder und Kunden auf ihren Versicherer verlassen können“, stellt Vorstandssprecher Klaus-Jürgen Heitmann bereits jetzt in Aussicht.

Neben der Bewertung des endgültigen Corona-Effektes sei eine weitere wesentliche Rahmenbedingung das sich entwickelnde Schadengeschehen im Laufe des Jahres, z.B. aus Naturkatastrophen, wie Hagel oder Sturm. „Da diese erfahrungsgemäß im Sommer und Herbst über Deutschland hinwegziehen, müssen wir auch hier abwarten, wie hoch die Schadenaufwendungen für die Huk-Coburg am Ende des Jahres insgesamt ausfallen“, erläutert Heitmann.

Abgerechnet wird jedenfalls wie immer am Jahresende. Spätestens dann dürften die finanziellen Folgen für die Versicherer durch Corona genauer beziffert werden können.