Maximilian Volz, VWheute, vom 23. Juli 2020
Es gab schon einfachere Zeiten für die Rechtschutzversicherer. Erst der VW-Abgasskandal, jetzt Corona. Die nächste Belastung könnte weniger imposant, aber dafür dauerhaft eintreten. Die Rechtsanwalts- und Gerichtsgebühren sollen ab dem nächsten Jahr erhöht werden. Für die Branche, die sich bei der Schaden-Kosten-Quote nahe der hundert Prozent bewegt, ist das nicht einfach. Führende Player wie Arag und Roland stehen unter Druck, sehen aber viele Chancen.
Die Rechtschutzversicherer haben im VW-Abgasskandal bis Ende Mai rund 667 Mio. Euro für Anwalts-, Gerichts- und Gutachterkosten geleistet, zeigen Zahlen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) gut zwei Jahre nach Beginn des Abgasskandals und zum Abschluss der Musterfeststellungsklage gegen Volkswagen. Wie viel noch hinzukommen, weiß derzeit niemand zu sagen.
Zudem droht Corona zu einem Supergau für die Rechtschutzversicherer zu werden. Insbesondere im Arbeitsrecht könnte eine Flut von Klagen auf die Gerichte und Versicherer zurollen, zeigt eine Analyse von Meyerthole Siems Kohlruss (MSK). „Wie in jeder Rezession wird die Schadenbelastung durch den Anstieg der Arbeitsrechtsfälle ansteigen, die in dieser Krise leider historische Ausmaße erwarten lassen“ erklärt Onnen Siems, Gründer und Geschäftsführer der aktuariellen Beratungsgesellschaft.
Das sind keine guten Zeichen für eine Branche, die in den Beitragseinnahmen wächst, jedoch in der Schaden-Kosten-Quote seit Jahren bedenklich nah an der hundert Prozent und damit der Verlustzone kratzt.
Die Coronakrise beschäftigt die Versicherer. Die Roland stellt bereits einen Anstieg der Schäden fest und geht davon aus, dass sich dieser Trend „bis Jahresende fortsetzen wird“. In welchem Umfang, lasse sich allerdings „nicht seriös prognostizieren“. Die höheren Kosten werden nicht ohne Folgen bleiben. „Der Anstieg der Schadenaufwendungen wird sich vermutlich in der gesamten Branche in steigenden Preisen niederschlagen“, vermutet der Versicherer.
Wettbewerber Arag bewertet die Kostensituation ähnlich. Durch die Erfahrungen der Vergangenheit weiß das Unternehmen, dass bei einer Krise wie Corona die Kosten „vor allem im Arbeitsrecht deutlich ansteigen werden“. Rund um die Finanzmarktkrise im Jahr 2008 seien die Schadenzahlungen um bis zu 20 Prozent gewachsen. Es wäre „nicht unrealistisch“, dass die wirtschaftlichen Folgen von Corona „sogar noch stärkere Auswirkungen zeigen werden“.
Der Trend verläuft in diese Richtung. „Mittlerweile verzeichnen wir im Arbeitsrecht eine klar steigende Tendenz bei den gemeldeten Rechtsschutzfällen“. Im Verkehrsrecht und Privatrecht erwartet der Versicherer dagegen „keine großen Kostenauswirkungen“. In Panik verfällt bei der Arag niemand. Aus den Erfahrungen der Vergangenheit wisse das Unternehmen, dass sich „solche starken Kostenauswirkungen einer Krise „über die Zeit „wieder ausgleichen“.
Mehr Geld für Juristen
Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die geplante Anpassung der Rechtsanwalts- und Gerichtsgebühren. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat einen Referentenentwurf erarbeitet, der eine Anpassung der gesetzlichen Rechtsanwaltsvergütung vorsieht. „In Kürze werden wir die Abstimmung des Entwurfs mit den übrigen Bundesministerien einleiten und anschließend den Entwurf den Ländern und betroffenen Verbänden zur Stellungnahme übersenden“, schreibt das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz.
Die Gebühren nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz sind zuletzt zum 1. August 2013 erhöht worden. Insbesondere mit Blick auf die erheblich gestiegenen Kosten für den Kanzleibetrieb ist eine erneute Anhebung der gesetzlichen Rechtsanwaltsvergütung geboten, schreibt das Ministerium. Kritiker, unter anderem der GDV, sehen vor allem eine Kostensteigerung für Privathaushalte.
Das Ministerium argumentiert, dass die Anpassung der Rechtsanwaltsgebühren die wirtschaftliche Grundlage von Rechtsanwaltskanzleien insbesondere auch in strukturschwachen Regionen sichere und dazu beitrage, dass Bürgerinnen und Bürgern auch künftig „flächendeckend Zugang zu anwaltlichen Dienstleistungen“ haben werden.
Für die Versicherer bedeuten steigende Gebühren höhere Kosten, sie fachen aber auch den Bedarf am Produkt an. „Ganz allgemein erschweren steigende Anwaltskosten für breite Schichten der Bevölkerung einen bezahlbaren Zugang zum Recht. Die Rechtsschutzversicherung wird dadurch weiter an Bedeutung gewinnen“, glaubt die Arag.
Die bislang diskutierten Erhöhungen werden „drastische Auswirkungen“ auf unsere Schadenzahlungen haben, erklärt die Roland. Daher werde es umso wichtiger sein, „die Geschäftsprozesse zu verschlanken und einen effizienten Austausch mit den Anwälten unserer Kunden zu pflegen“.
Wie die Arag rechnet auch die Roland mit einer steigenden Nachfrage am Produkt. „Die zunehmenden Anwalts- und Gerichtsgebühren können allerdings auch einen positiven Effekt auf die Nachfrage haben, wenn sich immer mehr Menschen mit einer Rechtsschutz-Versicherung vor diesem Kostenrisiko schützen möchten.“
Das wird kommen
Beide Unternehmen schauen trotz der genannten Probleme optimistisch in die Zukunft. Die Rechtsschutz-Versicherung erlebt derzeit einen Nachfrageboom erklärt die Roland. Das sorge dafür, dass das Bewusstsein für rechtliche Risiken und deren „eingeschränkte Beherrschbarkeit für den Einzelnen“ zunimmt. Bei einem Teil der Rechtsschutz-Interessenten gäbe es auch bereits einen konkreten Schadenfall. „Wir werden diesen Kunden einen Weg bieten, ihre bestehenden Probleme zu lösen und sich gleichzeitig für die Zukunft umfassend abzusichern.“ Dazu will der Versicherer „zeitnahe, sachgerechte Lösungen für den Einzelnen und eine deutliche Schadendämpfung im Interesse des Kollektivs“ erreichen.
Die Arbeit der Arag hat Corona bereits verändert. Auf die zukünftige Produktgestaltung habe Corona „starken Einfluss“. Das Unternehmen habe „direkt und flexibel“ auf die Bedürfnisse reagiert und konnte sehen, „was Kunden brauchen“. Extrem wichtig sei den Kunden „schnelle kompetente Anwaltsberatung und auch Navigation bei rechtlichen Fragestellungen“. Die Rechtsschutzversicherung beweise sich für die Kunden insbesondere in der Corona-Krise als ein „elementarer Absicherungsbaustein“. Umso wichtiger sei es daher, „solche Leistungen und Services künftig deutlich auszubauen und unseren Kunden gerade auch in unsicheren Zeiten als verlässlicher Partner zur Seite zu stehen“.
Arag und Roland zeigen, dass selbst Ereignisse wie Corona und Gebührenerhöhungen positive Seiten haben kann, sei es als Nachfragebeschleuniger oder indirekter Produkt- und Serviceverbesserer. Mit steigenden Prämien für Verbraucher rechnen beide Unternehmen, sei es wegen steigender Anwalts- und Gerichtskosten oder den Corona-Aufwendungen. Optimistisch nach vorne schauen beide Häuser.