Dietmar Kohlruss, Versicherungswirtschaft-heute, vom 11. Januar 2016
Weg vom regelbasierten, hin zum prinzipienbasierten Aufsichtssystem: darunter stand in den letzten Jahren die Einführung des Drei-Säulen-Systems Solvency II. Bei der Ermittlung des notwendigen Kapitals nutzen die meisten Versicherungsunternehmen die sogenannte “Standardformel”. Wer glaubt, dass es sich hierbei um eine einfache Berechnung wie unter Solvency I handelt, der irrt gewaltig.
Marktnahe Bewertung ist hier ein wesentlicher Grundsatz. Regelmäßige Teilnahmen an den QIS-Studien der vergangenen Jahre haben vielen Versicherern bei der Umsetzung geholfen. Kommerzielle Tools existieren zwar, lösen aber das Verständnisproblem nicht. Schließlich verlangt die Befüllung der Tools entsprechendes Know-how. Die Standardformel ist zwar risikoadäquater als die Berechnung unter Solvency I, aber für viele Versicherungsunternehmen dennoch unpassend. Korrekturen durch unternehmensspezifische Parameter (USP) oder partielle Modelle sind aufgrund der Genehmigung mit teils äußerst hohem Aufwand verbunden, aber nicht unmöglich. Der eigentliche Kernpunkt von Solvency II ist die Säule II. Hier steht vor allem die unternehmensindividuelle Bewertung der Risiken im Mittelpunkt.
In der Standardformel nicht berücksichtigte Risiken wie z.B. das Reputationsrisiko sind hier zu quantifizieren. Klare Verantwortlichkeiten durch die Einrichtung von Schlüsselfunktionen sind zu bilden. Wer bisher national gemäß MaRisk VA gut aufgestellt war, muss die Welt an dieser Stelle nicht gänzlich neu erfinden. Kleinere Gesellschaften können ggf. fehlendes Know-how durch Funktionsausgliederungen der Schlüsselfunktionen hinzugewinnen. Auch wenn das Verfassen vieler Leitlinien ermüdend ist, im Resultat bedeutet ein Risikomanagement gemäß Säule II eine deutlich intensivere Auseinandersetzung mit den eigenen Risiken.
Die qualitativen und quantitativen Ergebnisse sind unter der dritten Säule der Aufsichtsbehörde in Schriftform bzw. in Form von Daten zu übermitteln. Teile davon sind auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Eine Vielzahl von Berichten und Daten sind somit regelmäßig in einem sehr engen Zeitplan zu übermitteln, was bei vielen Unternehmen zu Kapazitätsproblemen führt. Die Sinnhaftigkeit der quartalsweisen Berichterstattung wird berechtigterweise diskutiert, eine Befreiung von dieser Last wird selten sein. Bei den quantitativen Berichten, den QRTs, führt vor allem eine zeitnahe Datenbereitstellung zu Schwierigkeiten.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich die Branche gerade im letzten Jahr intensiv mit der Solvency-II-Umsetzung auseinandergesetzt hat. Es ist noch nicht alles rund, aber das war auch nicht zu erwarten. Branche und Aufsichtsbehörde müssen sich an verschiedenen Stellen aufeinander zu bewegen. Insbesondere ist unnötige Komplexität aus dem System zu eliminieren. Dem Prinzip folgend profitieren sicher auch die Versicherungsnehmer.